von Michèle Haller
~10. Oktober, abends~
Elton John – Bennie And The Jets
Etwas Überzeugungsarbeit hat es noch von Kathi und Jana gebraucht. Auch eine Nacht darüber zu schlafen hat sicher nicht geschadet. Ich habe Freddie geschrieben. Alleine wollte ich mich aber irgendwie nicht mit ihm verabreden. Also habe ich ihn nach einer Empfehlung für einen Pub gefragt. Die habe ich auch prompt bekommen. Dann habe ich noch hinzugefügt, dass ich mit meinen Freundinnen abends dort hingehen werde und, dass er gerne dazu kommen kann.
Jetzt warten wir im Three Oaks im Stadtteil Thornton Heath. Das ist zwar schon ziemlich südlich, aber wenigstens keine Touristenfalle. Die Einrichtung ist rustikal und die Getränkekarte begrenzt. Aber zwischen Billardtischen und Dartboards fühle ich mich ganz wohl. Ich trinke ein Stout, das ich lieber mag als die vielen Ales. Ich ärgere mich, dass ich mich nicht zu einer festen Zeit verabredet habe. Langsam werde ich doch ziemlich nervös. Kathi überredet mich, mit ihr Darts zu spielen, damit ich abgelenkt bin. Leider bin ich dabei grottenschlecht. Es kommen nicht mal alle Dartpfeile bei der Wand an.
„Hey Elise! Soll ich dir zeigen, wie es geht?“, begrüßt mich irgendwann die Stimme von Freddie. Er trägt wieder die Jeansjacke. Ich hoffe, er ist nicht einer von diesen Männern, die einem die ganze Welt erklären wollen. Aber bisher hat er eigentlich nicht den Eindruck gemacht. „Und was qualifiziert dich dazu, mir das beizubringen?“, gebe ich frech zurück. Sein Lächeln ist absolut selbstsicher. „Ich bin Dartprofi.“
Warum muss man sich denn gleich Profi nennen? Steht er hier etwa jedes Wochenende und spielt fünf Stunden? Ich beiße mir leicht auf die Zunge, um nicht schnippisch zu antworten. Also zucke ich mit den Schultern und sage: „Versuch dein Glück.“
Er zieht seine Jacke aus und gibt sie dem Mann hinter der Bar. Scheinbar kennt man ihn hier. Dann begrüßt er kurz auch meine Freundinnen. Schließlich kommt er zur mir herüber. Dann erklärt er mir, ein paar Möglichkeiten, wie ich am besten meinen stehe. Es gibt ein paar Infos über den Wurf selber. Ich soll den Arm mit möglichst viel Schwung voll durchziehen. Natürlich soll ich den Pfeil auch loslassen, bevor er eine Kurve nach unten antritt. Als ich mich zum nächsten Wurf bereit mache, legt er mir sanft eine Hand auf den Rücken, damit ich mich weiter nach vorne lehne. Ich lächele über den kleinen Körperkontakt. Er macht das wirklich geschickt.
Tatsächlich kommt der Wurf überraschend gut an. Ich freue mich wirklich und umarme Freddie, ohne groß darüber nachzudenken. Dem scheint das gar nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil, er schlingt einen Arm um meinen Oberkörper und lässt mich erstmal nicht mehr los. Seine Hand ruht warm an meiner Taille.
Freddie erzählt, dass er in Thornton Heath aufgewachsen ist und schon seitdem er fünfzehn ist in diesem Pub Darts spielt. Da wundern mich dann auch die vielen Leute, die ihn immer wieder begrüßen nicht mehr.
© Michèle Haller 2025-01-11