von Clärchen
Das Rauschen des Meeres und die Seeluft füllten die Leere in meinem Kopf. Wie immer, wenn ich nicht mehr weiter wusste, kam ich hierher – ans Meer, hinter den Deichen meines kleinen, beschaulichen Dorfes in Niedersachsen. Der seichte Wind strich mir um meine nackten Knöchel und meine Füße gruben sich tiefer in den hellen Sand. ‚Komm schon!‘ dachte ich mir und stand mit einem Seufzen auf.
Wann auch immer ich mich hierher zurückzog, fühlte ich mich, als ob die See mir die schweren Steine vom Herzen hob und mir eine wärmende Umarmung gab. Ich fühlte mich frei hier und genau dieses Gefühl sollte mir in einer Woche für immer genommen werden. Meine Eltern zogen um. Irgendwo in den Süden, meinte meine Mutter nur zu mir. Zur Familie, hieß es. Weg von meinen Freunden. Weg von meinem idyllischen Leben zwischen den Deichen. Alleine bei dem Gedanken festigte sich der Klos in meinem Hals wieder und ich musste meine Tränen wegblinseln.
Ich weiß nicht wie lange es her war, bestimmt schon ein paar Stunden, seit ich von Zuhause weggelaufen war. Ich konnte die ganzen Umzugsboxen einfach nicht mehr sehen. Gedankenverloren lief ich am Strand entlang, gerade soweit, dass die Wellen mich nicht erreichen konnten. Schließlich entschied ich mich doch, einen Blick auf mein Handy zu werfen. Wie erwartet waren alle in Aufruhr um mein plötzliches Verschwinden. Mehrere verpasste Anrufe meiner Mutter und meines Dads, sowie unzählige SMS zeugten davon.
“Hey. Louise!”, rief eine Stimme hinter mir und ich kannte sie nur zu gut. Als ich mich umdrehte begegnete mir der forschende Blick meiner besten Freundin. Anstatt auf eine Antwort zu warten kam mir die Brünette mit den wunderschönen grünen Augen entgegen und drückte mich an sich. “Ich wusste, dass ich dich hier finden würde.”, flüsterte sie mir ins Ohr und ich konnte meine Tränen nicht länger halten. “Wir ziehen um. In einer Woche”, schluchste ich in ihre Umarmung hinein. “Shh, ist gut. Ich weiß schon. Deine Eltern suchen wie verrückt nach dir. Das ganze Dorf ist auf den Beinen und wenn sie Fackeln und Mistgabeln in der Hand hätten, hätte ich glatt gedacht, du wärst eine Hexe auf der Flucht, als sie so an meiner Tür aufgetaucht sind.” lachte sie verschmitzt. Auch ich musste darüber kurz auflachen und strich mir hastig die Tränen von meinen Wangen.
Bente war schon seit Kindheitstagen meine beste Freundin gewesen. Mit ihr konnte ich alles teilen und zusammen haben wir schon die schlimmsten Zeiten durchgemacht. Dass ich bald für sie nichtmehr da sein konnte, brach mir mein Herz.
“Lass uns eine kleine Runde drehen.”, meinte Bente und ließ ihren Blick über das kappelige Wasser der Nordsee schweifen. Mit weniger ernstem Blick griff sie auch schon meine Hand und zog mich mit sich.
Mit Bente an meiner Seite konnte noch so ein großer Schicksalszunami meine Welt überrollen, denn ich konnte immer sicher sein, dass sie die Erste wäre, die anfängt die Trümmer aufzuheben und versucht diese wieder zusammenzusetzen.
© Clärchen 2022-03-23