Tiefschnee-Tauchen

Mariefu

von Mariefu

Story

„Oh nein“, denke ich, „das kann doch jetzt nicht wahr sein!“ Nummer eins steigt aus. Dahinter Nummer zwei. Vor mir Nummer drei, ich bin dran. Zögern nicht erlaubt mitten im Gelände zwischen zwei Liftstationen auf dem Arlberg. Was sonst verboten ist wird mir heute zuteil und ich weiß nicht, ob es nicht eine Nummer zu groß ist- für mich, die Rheinländerin…

Abends zuvor treffe ich sie beim Après-Ski. Sie laden mich in eine Disco ein. Ich lasse alle Grundsätze fallen und schließe mich an. Tanzen, Trinken, Busserln und die leichtsinnige Zusage, am nächsten Morgen mit auf die Piste zu gehen. „Kimmst mit? Bist in den besten Händen!“ Er zwinkert mir zu. Natürlich gebe ich mir keine Blöße und stimme zu.

„Was soll schon passieren?“, beruhige ich mich selbst. Mit fünf feschen Skilehrern an meiner Seite werde ich es wohl schaffen, auch wenn es über meine Grenzen geht.

Ich atme tief ein und springe vom Lift ab. Der Schnee ist weich, pulverig, kniehoch, die Sonne scheint. Perfekt, eigentlich. Einer läuft voraus. Das Gelände ist von Tannen durchsetzt, eine wunderbare Stille ringsum. Das Tiefschneefahren macht Spaß, aber fordert meine Kräfte. Wir stoppen an einer Stelle, die bergan führt. Ein Pfad wird sichtbar, ich ahne Böses. Weit oben ragt der Bergkamm in die Höhe, alle Blicke richten sich darauf. „Geht’s no?“ Belustigt kichern sie. „Na klaro!“ Nur keine Schwäche zeigen. Die Ski auf der Schulter stapfen wir los. Sie nehmen mich in die Mitte, damit ich nicht verloren gehe. Schweißgebadet erreichen wir den Abfahrtspunkt. Er liegt zwischen zwei aufragenden Zinnen und gibt den Blick in beide Täler frei. „Ist das ein Traum? Zwick mich mal!“ Mein Nachbar lacht. Ein Wunder, dass ich überhaupt noch sprechen kann.

Nach einer kleinen Jause aus dem Rucksack eines Begleiters machen wir uns startklar. „Da hinunter?“ Es entfährt mir leicht unkontrolliert. Sowas habe ich bisher nur in Spielfilmen gesehen, wenn im gefühlten 90°-Winkel eine Verfolgungsjagd in den Weiten Kanadas eingefahren wird. Und jetzt soll ich…?

Nach einigen Instruktionen, was ich auf keinen Fall tun sollte und was ich auf jeden Fall lassen muss, um unbeschadet durch die tiefverschneiten Felsen zu gelangen, startet der Erste. Dann der Zweite, jetzt ich. Das Herz in der Hose bleibt mir keine Wahl. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf, der Adrenalin-Kick sorgt für den Anschub. „Yeah!“ Es schreit in mir. „Wow!“ Ich jauchze laut. Und plötzlich wird es still. Der Pulverschnee frisst mich auf, ich bin abgetaucht. Die Landung ist weich. Die Ski stecken fest, aber lassen sich wieder sortieren. Nächster Versuch. „Wedeln! Wedeln!“ Es klappt ein paar Kehren, dann wird es wieder still. Ausgebremst. Fröhliches Lachen reißt mich mit und mein Ehrgeiz reißt nicht ab. Tiefschnee-Tauchen bis ins Tal. Heute habe ich mir den Glühwein und mindestens 3 Willi verdient. Zahlen muss ich nix und fortan geht ein Raunen durch die Reihen: „Schoa, da kimmt sie, die wilde Rheinländerin…“.

© Mariefu 2021-01-09

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