Tiere

Sandra Schütze

von Sandra Schütze

Story

Niemand wird sich je an mich erinnern. Niemand wird die unsichtbaren Spuren sehen, die ich Tag für Tag in dieser Welt hinterlasse. Aber vor allem wird es niemals jemanden geben, dem das wichtig wäre. Denn bis heute kennt niemand meine Tierliebe.

Die erste richtige Liebe, die ich jemals kennengelernt habe, war die Liebe zu Tieren. Obwohl sie nicht einmal meine Sprache sprechen, fühlte ich mich doch stärker mit ihnen verbunden, als mit jedem Menschen, der mir bis zu diesem Zeitpunkt begegnet war. Ich mochte es gesehen zu werden. Ich fühlte mich von ihnen wahrgenommen. Und ich spürte tief in meinem Herzen eine Zuneigung wachsen, die ich auf diese Weise noch nie gefühlt hatte.

Mein erstes Haustier war ein Nymphensittich, der mich allein mit seinem Anblick jeden Tag zum Lächeln brachte. Anders als bei Menschen scheinen die Eigenschaften von Tieren eher als Besonderheiten, statt als Makel angesehen zu werden. Ganz egal, wie individuell ein Charakterzug auch war, er wurde stets angenommen und dem Tier als ganz außergewöhnliche Fähigkeit zugeschrieben. Anders als bei mir, die sich immer noch danach sehnte, genauso bedingungslos von den Menschen in meinem nahen Umfeld geliebt werden zu können. Doch immerhin hatte ich nun einen tierischen Begleiter, der in mir das zu sehen schien, was ich tief in meinem Inneren auch war.

Eines Tages jedoch flog mein Vogel durch einen unbedachten Augenblick plötzlich davon. Glücklicherweise wurde er kurze Zeit später in ein Tierheim gebracht, in dem wir wie durch einen Wink des Schicksals schließlich auch unsere lang gewünschte Hündin adoptierten. Ich war viel mit ihr unterwegs, unternahm lange Fahrradtouren und lernte durch sie auch die Liebe zur Natur kennen. Bis ihr eigener Jagdtrieb sie an einem Tag im Mai plötzlich auf die Bahngleise führte.

Das schlimmste war die Stille danach. Mir wurde erst durch ihren Verlust bewusst, wie sehr sie unsere kaputte Familie zusammengehalten hatte. Jeder hatte einen Zugang zu ihr gehabt, sich um sie gekümmert und sich ab und zu sogar von ihr trösten lassen. Sie war immer da gewesen, hatte sich riesig gefreut, wenn man nach Hause kam und brauchte einen nur mit einem Blick anzusehen, um die Sorgen des Alltags für einen kleinen Augenblick vergessen zu können. Doch von einem Tag auf den nächsten war da nur noch die Leere. Ein tiefes Loch, das niemand anderes mehr zu füllen vermochte.

Es war, als hätte sie sämtliches Leben mit sich genommen. Jeder schien in seiner eigenen kleinen Welt gefangen zu sein und ihren Tod auf seine Weise für sich selbst zu verarbeiten. Das Problem daran war nur, dass ich das nicht alleine konnte. Woher sollte ich wissen, wie ich mit einer Trauer wie dieser umgehen sollte? Ich hatte niemandem, mit dem ich darüber reden konnte und ich wusste auch überhaupt nicht, wie ich darüber reden sollte. Meine engste Vertraute war mir genommen worden und mit ihr auch all die Wärme, die einen großen Teil von mir erfüllt hatte. Bis bald gar nichts mehr davon übrig war.

© Sandra Schütze 2022-08-17

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