von Silvia Peiker
Zeit sei relativ, propagierte einst Einstein. Doch steht das nicht in Widerspruch mit den prestigeträchtigen Schweizer Zeitmessern, die sich der Präzision verschrieben haben? Aber warum sind wir dann so oft in Zeitnot? Sei’s, um einen Zug mit heraushängender Zunge nach Luft japsend hinterherzujagen oder um mit knapper Not einem wichtigen Meeting beizuwohnen? Tragen etwa unsere inneren Uhren, deren Zeiger bisweilen einen Lamourhatscher tanzen, schuld daran, dass wir schuldlos zu spät kommen?
Wird nicht gerade in universitären Gefilden das berühmt-berüchtigte akademische Viertelstündchen hochgehalten und toleriert? Das kann so weit gehen und irritieren, dass Professoren, die stets zur eigenen Vorlesung zu spät erscheinen, sich entschuldigen, wenn sie ausnahmsweise einmal pünktlich heranhecheln.
Und ist es nicht schon seit langem 10 vor 12? Warum uns ausgerechnet 10 Minuten von der prophezeiten Katastrophe oder gar dem Weltuntergang trennen, hol’s der Kuckuck, ist ein vertracktes Enigma, das nach wie vor der Lösung harrt. Verlorene Sekunden rieseln gleich winzigen Sandkörnern ins Stundenglas, rinnen uns durch die Finger und werden vom Wind verweht. Die Uhren ticken, klicken gleich Handschellen, ketten uns an den Marterpfahl der exakten Zeitschaltuhr. Denn wenn morgens der Wecker ratscht, ist es doch ein Leichtes, das Foltergerät nochmals neu zu stellen und sich verschlafen in die Kissen zu kuscheln.
Wie viele Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre wir bereits mit Warten, sei’s in Wartezimmern von Ämtern oder Ärzten oder in Warteschleifen von diversen Unternehmen vergeudet haben, sei dahingestellt. Kein Aufschieben auf die lange Wartebank kann die ultimative Probe, um unseren elastischen Geduldsfaden zu trainieren, verhindern. Wir verwarten einen guten Teil unserer Lebenszeit und verlieren uns in der Zeitgeschichte.
Zu berechnen, wie viel unnütze Zeit wir mit Plattformen wie TikTok oder Twitter vergeuden, bedarf wohl eines Algorithmus, der zeitgemäß mit KI und Co. wetteifern kann. Diese Zeitfresser gaukeln uns das reale Leben vor, dem wir mit Klicken und Scrollen hinterherjagen.
Wollen wir nicht gerade zu Weihnachten kostbare Zeit verschenken, die wir gar nicht haben, weil diese kostbare Kuriosität beim Shoppen von Geschenken, Ausstechen von Keksen oder dem leidigen Weihnachtsputz in Windeseile verpufft? Im Zeitraffer drehen wir unsere vorweihnachtlichen To-do-list-Piouretten und uns drückt nicht der Schuh, sondern der alljährliche Zeitdruck, um den Last-Minutes-Geschenke-Marathon oder das Versenden der obligatorischen Weihnachtsgrüße zeitgerecht in best time zu bewältigen.
Zeit ist Geld, meinen jene, die ruhelos dem Mammon nachjagen. Könnten wir sie jedoch in einer Zeitkapsel konservieren, wären wir garantiert zeitlos reich.
Dank an Pixabay fürs schöne Foto!
© Silvia Peiker 2024-12-22