Timeplaner auf Abwegen

Storyteller74

von Storyteller74

Story

Jeder kennt das Gefühl: Den Weg zur Arbeit in Angriff nehmend, mit vielen Ideen im Kopf – und dabei vor lauter Gedanken auf Wesentliches zu vergessen. Passiert auch mir – was mitunter zu Turbulenzen führt.

So auch an einem heißen Juni-Tag vor einigen Jahren. Gegen 17 Uhr packe ich meine Sachen und nehme die rund 10 Kilometer Fahrtstrecke bis zum Arbeitsplatz in Angriff. Dort angekommen, komme ich ins Grübeln: „Habe ich meinen Timeplaner gar nicht dabei? Komisch. Na gut, wird er wohl zu Hause liegen.“

Kaum aus dem Auto gestiegen, läutet mein Handy. Eine mir unbekannte Nummer. Ich gehe in solchen Fällen selten ran, diesmal schon. Gut so. „Hallo?“, fasse ich mich kurz. Am anderen Ende: eine aufgeregte, männliche Stimme, mit Straßenlärm im Hintergrund. „Ist das Dein Timeplaner?“, will ein gestresster Mann wissen. „Wie? Was? Timeplaner?“, reagiere ich verwirrt.

„Bist Du das?“, spricht er mich mit meinem vollen Namen an. „Ja, das bin ich.“ Worauf er ins Detail geht: „Dein Timeplaner liegt hier auf der Straße verstreut, ein paar Seiten habe ich retten können.“ Ich versuche, das Gehörte einzuordnen, als es mir langsam schimmert: Ich hatte den Timeplaner sehr wohl mitgenommen, allerdings die Angewohnheit, ihn kurz aufs Autodach zu legen, um aufzusperren.

Das Fatale daran: Diesmal hatte ich in meiner Zerstreutheit den Timeplaner nicht mehr zur Hand genommen, fuhr mit ihm auf dem Dach quer durch Wien. Das Kuriose: Die A5-Lederhülle hatte mich, zwischen den Dachträgern hin- und herschwingend, gut vier Kilometer begleitet, ehe sie den Absprung wählte. Bei der Einfahrt in eine Kreuzung auf den Wiener Gürtel, mitten im Nachmittags-Verkehr.

Besagter Herr hatte den Vorfall bemerkt und in der Hektik der vorbei fahrenden Autos gerettet, was zu retten bzw. zu finden war. Zum Glück auch die Seite 1 im Timeplaner, mit meinen persönlichen Daten, inklusive Handy-Nummer. Derart viel Glück muss man mal haben.

„Wann kommst Du Dein Buch holen? Oder besser gesagt, was davon übrig blieb“, schmunzelte er. „Ich kann erst gegen Mitternacht, muss nun ins Büro“, antwortete ich. „Kein Problem, melde Dich, wenn Du vor meinem Haus stehst“, gab er mir seine Adresse durch.

Sechs Stunden später streckte mir Dusan mein Ringbuch entgegen. Ich staunte nicht schlecht: Der Timeplaner war mehrmals überfahren worden und schwer wiederzuerkennen, Dusan hatte aber einen Großteil der Seiten retten können.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer tausendmal DANKE“, fehlten mir die Worte. „Passt schon, habe ich gerne gemacht.“ Finderlohn lehnte er ab. Mir ließ das Ganze aber keine Ruhe.

Ich stellte in den nächsten Tagen ein Dankeschön-Paket zusammen, schickte es ihm per Post. Inklusive eines Gutscheins für ein Dinner für zwei im Hotel Sacher. Ich hoffe, es hat ihm und seiner Begleitung geschmeckt und sie hatten eine stressfreie Anreise. Meinen Timeplaner hätte Dusan nicht mehr aufspüren müssen – denn dieser hat nie mehr auf einem Autodach Platz genommen.

© Storyteller74 2022-06-22

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