TINDERWAHN

Santosha

von Santosha

Story

Ich habe sicher schon 5, 7 Milliarden Tindermänner angeklickt. Und sicher 95% sofort weggewischt. Erklärt das, warum ich Single bin? Und damit Sie es gleich wissen: Ja, ich weiß, dass Österreich 8, 6 Millionen Einwohner hat, und davon über 4 Milliarden Männer sind. Das sind viele, sogar, wenn man so hohe Ansprüche hat wie ich. Es ist schon so: Irgendetwas stimmt nicht an meiner Rechnung …und doch ist es die reine Wahrheit!

Der sicherste Weg, sich in einem Paralleluniversum asozialer Leute selbst asozial zu verhalten. Der sicherste Weg, abrupt enttäuscht zu werden und selbst zu enttäuschen. Der sicherste Weg, das wirkliche Leben zu meiden – das ist Tinder. Es ist aber auch eine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Menschen zu finden, mit denen man etwas gemeinsam hat.

Allerdings: Aufgewachsen bei den Indianern…Nein, das macht mich nicht verliebt.

Oder: Heiratsambitionen aus L.A., um zu guter Letzt um eine Geldüberweisung zu bitten. …Haha, der war gut.

Aber auch: Eine Mischung aus ONS und Affäre? …Wie schön, aber der Nächste bitte.

Das Handy lässt die Einsamkeit durch alle seine Ritzen ein- und ausströmen. Dennoch: Die Sucht ist groß. Die Bequemlichkeit ist groß. Die Hoffnung ist groß. Das Schweigen auf den Straßen noch größer. Die große Stadt ist so groß, dass zu große Vertrautheit anstrengend zu sein scheint. Wer redet, das sind ältere Leute. Kinder schauen dich mit neugierigen Augen an. Hunde rennen über den Gehsteig und lassen dich nicht vorbei. Frauen verkaufen Dinge.

Viele Männer allerdings sind stumm. Schauen in ihr Handy. Dort können sie Vertrautheit gut meiden, nämlich auf Tinder. Träumen sie von Tinderaffären, selbst wenn man ihnen direkt gegenübersitzt? Ich habe keine Lust, auffällig reizvoll zu sein. Und neurotisch mit dem Handy zu wacheln, damit man mich bemerkt. Die Angst vor Zurückweisung ist auf beiden Seiten ebenso groß wie das wahn-sinnige Überangebot.

Ghosting und Breadcrumbing, also plötzlicher Kontaktabbruch und Warmhalten sind normal, nichts Ungewöhnliches. Aber da gibt es noch den Krebskranken am Land …es tut mir leid: Krankenschwester war nicht mein Plan. Es gibt den Cop, der mit mir rasch eine Runde geht und mir danach schreibt, wie ich Nacktyoga finden würde. Es gibt den Studenten, der mich fragt, wann ich endlich mein Bier ausgetrunken habe oder den Informatiker, der unbedingt nach Hause zu seinem Braten will. Den Postbeamten, der mit seinem Motorrad fast einen Gehbehinderten überfährt. Den übereilt küssende Piloten, der mir erklärt, dass meine Zurückhaltung wohl kulturell bedingt ist. Den Projektmanager, der sich doch für seine Affäre aus Russland entscheidet. Den arroganten Kunstlehrer, der in mir Fluchtgedanken auslöst. Den reichen Angeber, der mich mein Soda um 1,80 € selbst zahlen lässt. Den Journalisten, der mir schließlich das Herz bricht.

Und doch gibt es ein Happy End, keine Sorge:

Ich lösche meinen Account – rechtzeitig bevor ich tinder – wahn – sinnig werde!

© Santosha 2020-01-04

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