von Georg Stix
…nur drei Buchstaben, dennoch ein bedeutungsgeladenes Wort. Ich machte damit schon in relativ jungen Jahren Bekannntschaft. Praktisch, nicht beim Reden darüber, das naturgemäß einfacher und leichter ist, als die Konfrontation mit dem Realen. Als Rettungssanitäter gehören Sterbende und Verstorbene eben zum jenen Gegebenheiten, die zwar nicht alltäglich sind – und es auch im Sinne einer abgebrühten Haltung hinzu – nie werden sollten, aber doch immer wieder vorkommen.
Es war allerdings damals keiner der Verstorbenen mein Vater. Und jetzt stand ich da in dem engen Abstellraum, wo man ihn im Morgengrauen hingebracht hatte, und starrte auf seinen leblosen Körper. Wie sich verhalten? Eine Zeit lang betrachtete ich ihn stumm, suchte in mir eine spontane Regung, die den Impuls zu weinen oder irgendwie adäquat zu reagieren auslösen sollte. Vergeblich. Der Schmerz und das Staunen über die Tatsache, das er jetzt zwar noch immer irgendwie da war, aber in einem Zustand, der es uns nicht mehr erlaubte mit ihm zu kommunizieren, ließen das nicht zu.
Der da liegt ist dein Vater, sagte ich mir. Gestern hat er noch gelebt. Wir besuchten ihn im Spital und wie immer huschte beim Erkennen ein flüchtiges Lächeln über seine Gesicht. Trotz seiner Krankheit zum Tode, dem Wissen darum, und der starken Medikamente, die die Schmerzen am ganzen Leib erträglich machen sollten.
Auf die Rückenlehne seines Krankenbettes gestützt, wünschte er sich von mir rasiert zu werden. Das deutete er mehr, als er es auf Grund seines Zustandes aussprechen konnte. Also holte ich alles Nötige aus seinem Kulturbeutel und seifte Kinn und Wangen mit zärtlich kreisenden Pinselstrichen gründlich ein. Achtsam, nur mit sanftem Druck ließ ich anschließend den Rasierer über seine Gesichtshaut gleiten, um ihm ja nicht zu verletzen oder weitere, diesmal vermeidbare, Schmerzen zuzufügen.
Das Rasieren entspannte ihn. Außerdem legte er, der aus einfachen Verhältnissen kam und lange Zeit Arbeiter war, so lange ich zurückdenken kann, auf Körperpflege, ordentliche Kleidung und geputzte Schuhe Wert. Mit einer Trainingshose in die Öffentlichkeit, undenkbar. Vater zeigte Haltung, die äußere Form gehörte da ganz einfach dazu.
Nun war die Haut ganz glatt und er wirkte trotz der traurigen Umstände erfrischt und sogar irgendwie jünger und gesünder. Später kam es mir so vor, als ob er seinen Abgang auch mit der gewohnten Ordnung und dem gepflegten Äußeren antreten wollte. Vielleicht.
© Georg Stix 2019-11-10