Tod der Gottesanbeterin

Andreas Bartsch

von Andreas Bartsch

Story
Neuss 2024


Sie hing mit dem Kopf nach unten an der Pflanze in unserer kleinen KĂŒche. In FensternĂ€he. Alles war wie immer. Eigentlich… Mir fiel auf, dass Pepa, so hieß unsere Gottesanbeterin oder besser Mantis, nur noch mit vier Beinen, statt wie ĂŒblich mit sechs, an dem Blatt klebte. Etwas kraftlos.

Meine Freundin fragte mich damals, also vor etwa einem Jahr, ob ich was dagegen hĂ€tte, wenn wir solch ein Insekt bei uns im Hause hĂ€tten. „Ein Weibchen. Wenn man die auf eine Pflanze setzt, bleiben die da. Und warten einfach bis sie gefĂŒttert werden.“ Ich stimmte also zu aber so ganz wohl war es mir dabei nicht.

Nachdem wir sie gekauft hatten setzten wir sie zu Hause auf eine kleine Pflanze im Esszimmer. Da blieb sie sitzen. Und bewegte sich nicht. Meine Freundin kaufte noch eine Box Heuschrecken. Zum FĂŒttern.

Zum GlĂŒck wuchs Pepa. Gottesanbeterinnen schlĂŒpfen wie Schmetterlinge aus ihrem Chitinpanzer heraus, wenn sie grĂ¶ĂŸer werden. Man kann sie aber selten dabei beobachten. Es geschieht meistens nachts. Dann sitzt plötzlich am Morgen ein neues Wesen da. Das war aber dann interessant fĂŒr mich. Wir beobachteten sie. Tauschten nach und nach ihren Platz. Setzten die Pflanze mit Mantis unter eine Lampe im Esszimmer. Ich erinnere mich noch, wie ich eines morgens zum FrĂŒhstĂŒck kam, das Licht anknipste, und sie dann langsam ihr Köpfchen aus den langen Armen erhob, ganz langsam, und nach oben schaute. Zum Licht. Sie hatte tatsĂ€chlich noch geschlafen. An diesem Morgen ist sie mir endgĂŒltig ans Herz gewachsen.

Als sie noch grĂ¶ĂŸer wurde, entschieden wir uns dann fĂŒr den Platz in der KĂŒche. Sie liebte das Fenster und (von wegen standorttreu …) ging oft auf Wanderschaft, sodass wir manchmal die komplette KĂŒche absuchen mussten um sie dann in einem MĂŒllbeutel oder direkt am gekippten Fenster zu finden. Was fĂŒr ein Schreck!
Sie hÀuten sich sechsmal. Danach leben sie nicht mehr lange. Man rechnet damit und trotzdem schmerzt es einen. Sie begleitete uns ein Jahr lang. Agil. Gelangweilt. Hungrig. Gestresst. Anmutig,

Aber jetzt hĂ€ngt sie nur noch an … zwei Beinen. Oh Nein! Sie putzt ein letztes mal ihre Zangenwerkzeuge. Ein Bein… Sie rollt den Kopf in das Zangenbein ein, als ob sie sich selbst umbringen wollte, vor Schmerzen. KrĂŒmmt sich.
Sie ist am Sterben. Es erwischt mich eiskalt. Das hat sie nicht verdient. Wir entscheiden uns schließlich, sie in eine Box zu legen und dann ins Gefrierfach. Damit sie langsam und in Frieden einschlafen kann. Und sich nicht quĂ€lt. Nach einem Jahr.

Einen Tag spĂ€ter ruft mein Cousin an und teilt mir mit, dass am Abend zuvor meine Lieblingstante Anne-Marie gestorben ist. Scheinbar genau zur selben Zeit wie Pepa …

Manchmal schauen wir abends immer noch Richtung Pflanze, so als ob sie da ruhig wie ein Blatt sitzen wĂŒrde und uns beobachtet. Und dann denke ich auch an Anne-Marie.

© Andreas Bartsch 2024-11-27

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Dunkel, Emotional
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