Tödliches Paradies

Lotte Maria Kaml

von Lotte Maria Kaml

Story

Die alte, verrostete Schubkarre stand schon jahrelang hinterm Haus. Wir konnten uns nicht von ihr trennen. Die Erinnerung an die Spazierfahrten, wenn wir Kinder beim Garteln „halfen“, sind immer noch lebendig. Schwungvoll schob mein Vater meine Schwester und mich über den Feldweg. Wir fühlten uns wie in einer noblen Kutsche und spielten Prinzessin. Lumpi, unser Dackel kündigte lautstark die Ankunft vor dem Schloss, also am Komposthaufen, an.

Schließlich beschloss ich, das gute Stück zu bepflanzen und ihm einen schönen Alterssitz neben dem Schuppen zu verschaffen. Dem porösen Gummireifen ist schon lange die Luft ausgegangen, aber im hohen Gras fällt die kleine Schieflage nicht auf. Die Bepflanzung sollte robust sein, natürlich und zum Ambiente passend. Ich grub am Feldrain ein paar Vergissmeinnicht-Stöcke aus, die sich dort jedes Jahr weiter ausbreiten. Zu Füßen der Schubkarre schoben sich die Köpfchen des Löwenzahns neugierig ans Tageslicht.

Zufrieden holte ich mir einen Liegestuhl und genoss das Frühlings-Gefühl, welches mich entspannt dahindösen ließ. Ein Garten ist ein kleines Stück Paradies. Neben Blüten und Früchten schenkt er uns auch Freiheit und ein Gefühl des Friedens. Da hörte ich ein Geräusch. Ich öffnete schläfrig die Augen. Er saß neben der Schubkarre. Der Todesbote. Lautlos hatte er sich angeschlichen. Ein Bussard war gelandet, nur zwei Meter von mir entfernt. Mit einer Maus, die gerade ihr Leben ausgehaucht hatte.

Erbärmlich hin und her baumelnd hing sie in seinem Schnabel. Der Mäusebussard drehte den Kopf in meine Richtung. Ich rührte mich nicht und war erstaunt über seine tatsächliche Größe. Wenn er manchmal über das Haus flog, wirkte er klein und unscheinbar. Ein hohes Pfeifen war zu hören. Es kam vom Horst im nahen Waldstück, wo die Jungen auf ihr Futter warteten.

Mein Blick fiel auf den Gartenzaun. Blinzelnd versuchte ich zu erkennen, was zwischen den Latten hing. Eine Schnur, die ich vergessen hatte? Nein, da nahm Marlene ihr Sonnenbad. Die schillernde Schönheit ist vor drei Jahren bei uns eingezogen. Satt und zufrieden räkelte sich die Ringelnatter. Jimmy, der prachtvolle Goldfisch, ist im Gartenteich nicht mehr auffindbar, auch der drollige Molch ist verschwunden.

Besorgt sah ich nach, ob es Paula und Paulinchen gut ging. Ich schob den Laubhaufen vor dem Holzstoß zur Seite. Da lagen sie! Igel-Mama und Kind waren unversehrt. Ein halb verfaulter Apfel steckte in der duftenden Erde. Verschrumpelt, wurmstichig sah er aus. Ich musste plötzlich an Würmer denken. Und an Maden. Sie warten geduldig. Auch auf mich.

Ein Garten kann uns vieles lehren. Geduld, Demut und die Einsicht, dass das Leben ein Kreislauf ist. Aus dem Alten entsteht das Neue, Jahr für Jahr. Vielleicht landet nach meiner letzten Reise ein Propeller bei mir. Ein Same meines Lieblingsbaumes, dem Ahorn. Dann fliege ich mit ihm zurück. Hierher, in meinen Garten Eden. Und die Vergissmeinnicht-Blüten lächeln mir fröhlich zu.

© Lotte Maria Kaml 2021-03-02