Ton. Form. Fertigung.

Story

Eine Geschichte schleicht sich in den Kopf, ein Ereignis, ein Thema, das gestaltet werden will. Das Faszinierende am Schreiben ist dieser undefinierbare Prozess, wie sich ein Gedanke, der vorerst noch keine Worte hat, der nur Bild, Vorstellung und GefĂŒhl ist, in Worte verwandelt, in SĂ€tze, in ZusammenhĂ€nge, Abfolgen und Strukturen. Vom Kopf in die Finger.

Der Stil soll dem Thema entsprechen, er kann ihm aber auch als unversöhnlicher Gegensatz entgegentreten. Ein Text kann schweben, fließen, hĂ€mmern. Er kann auch wechseln zwischen den ZustĂ€nden, aber das ist gefĂ€hrliches Terrain. Es kann zu kĂŒnstlich werden, es kann der Intention zuwider laufen. Aber in manchen Momenten passt es. Der Ton macht die Musik. Der Ton macht auch den Text. Mancher Text will Harmonie, ein anderer Dissonanzen.

Es beginnt in meinem Kopf meist als Chronologie. Etwas wird erzĂ€hlt. Etwas soll verdeutlicht werden. ZunĂ€chst erzĂ€hle ich mir die Geschichte selbst, denn ich kenne sie noch nicht so gut, wenn sie aus dem “tiefen Brunnen der Vergangenheit” herauftaucht und ein Gesicht von mir verlangt, einen Namen verlangt und eine Existenz in der Welt. Ich rufe die Geschichte nicht, sie kommt, sie drĂ€ngt sich auf, aber ich verlange von ihr, dass sie ihren eigenen Ton mitbringt. Geschichten sind niemals gleich, nie kann man zwei verschiedene Geschichten auf dieselbe Art abhandeln. Es wird der einen Geschichte gerecht, der anderen nicht. Auch Geschichten wollen Gerechtigkeit.

Ich experimentiere mit SatzlĂ€ngen. Es kommt vor, dass ich lange SĂ€tze in kurze zerhacke, und dann wieder fĂŒge ich kurze SĂ€tze zusammen zu langen Passagen, denen das hĂ€ssliche Wort “SchachtelsĂ€tze” gebĂŒhrt, das aber eine faszinierende Eigenart der deutschen Sprache offenbart.

Geschichten haben manchmal einen klaren Lauf, andere mĂ€andern dahin. Man soll sie lassen und nicht zwingen. Schlecht sind die begradigten Geschichten, die wie ein regulierter Fluss zwischen zwei Betonschichten eingezwĂ€ngt dahinvegetieren. Die mĂŒssen oft ganz gelöscht werden, da findet man keine Korrektur. Da schwebt nichts, fließt nichts, hĂ€mmert nichts im Kopf. Da bleibt kein Bild, da bleibt kein Geist, da fliehen die Gedanken. Das ist nur ein Versagen. Manche der getöteten Geschichten erstehen wieder mit neuer Musik, wie mit anderen Instrumenten gespielt. Die Tonart ist geĂ€ndert, aus Dur wird Moll und umgekehrt. Andere Vorzeichen bringen andere Ergebnisse. Auch Wörter sind Musik.

Machmal muss ein Text ruhen, er verlangt danach, denn seine Stunde ist noch nicht gekommen. Ein falscher Laut stört, ein Buchstabe zu viel, zu wenig, an der falschen Stelle gesetzt. Eine Unaufrichtigkeit, die nach mir schreit und mir ins Auge springt, bis ich ihr Gerechtigkeit widerfahren lasse. Ein Kind, das noch nicht reif ist fĂŒrs Leben.

Die letzte Probe ist lautloses Lesen. Ein innerer Ton. Das ist mehr als Lesen mit Augen und Gedanken, doch weniger als lautes Lesen. Und bringt letzte Gewissheit vor meinem Gericht.

© 2022-03-04