Toten – Gräber

renate schiansky

von renate schiansky

Story
wien

„Hast du schon gehört“, sagt die Gerti gestern, „die Frau Nesdrubal von der Nebenstiege ist jetzt auch gestorben!“ Ja, sie war ja auch schon recht schlecht beisammen in letzter Zeit. „Warst du beim Begräbnis?“
„Nein“, sagt die Gerti, und dass Begräbnisse doch immer so traurig sind. Ja. Stimmt. Und so verlogen! Zuerst wird am Grab Rotz und Wasser geheult, und gleich darauf beim Leichenschmaus, da streitet man um die paar Euro auf Omas Sparbuch. Aber ein Spaziergang über den Friedhof, das ist ab und zu schon nett. Stimmt, sagt die Gerti, und schon am nächsten Tag waren wir mit der Straßenbahn Nummer 71 unterwegs.
Weißt du eigentlich, dass man vor langer Zeit einmal eine Art Rohrpost für die Toten legen wollte? Denn der Wiener Zentralfriedhof, der ist vieles, aber „zentral“ ganz gewiss nicht! Und die unzähligen Leichenfuhrwerke, die da tagtäglich über die viele Kilometer lange Simmeringer Hauptstraße gezogen sind, die waren fürwahr kein erbaulicher Anblick, und die Geruchsbelästigung war vor allem im Sommer auch nicht ohne. So entstand die Idee einer Aufbahrungshalle im Stadtzentrum und einem unterirdischen Transport der Särge zum Friedhof. Die an sich gute Idee scheiterte aber letztendlich an der wieder einmal leeren Stadtkasse.
Na, wie auch immer, wir fahren also raus zum Friedhof, die Gerti und ich, bummeln durch die Alleen, besuchen dort Friedrich Torberg und Hans Moser, Beethoven und Falco, und auch den Udo Jürgens mit seinem marmornen Klavier. Dann sind wir zu den Präsidenten; schauen, ob eh noch alle in ihren Gruften ruhen, oder ob schon einer rotiert wegen der Zustände, die hier bei uns zurzeit so herrschen. Ein Kerzerl anzünden bei meinem Karli, eines bei der Gerti ihrem Otto selig, und dann wollten wir in die neue Konditorei beim Zweiertor, auf ein Schälchen Kaffee und ein Stück Torte.
Da seh ich aus dem Augenwinkel einen Mantel, der mir bekannt vorkommt: Sag, ist das nicht der Herr Nesdrubal? Wir gehen also näher, und tatsächlich, da steht der Nesdrubal mit einem Spaten am Grab, neben ihm ein Haufen Erde, und im Grab ein großes Loch.„Ja Herr Nesdrubal!“ sag’ ich, „was machen sie denn da?“
Erst wollte er nicht so recht raus mit der Sprache, aber dann hat er doch erzählt, dass seine Frau, die Monika, doch immer eine begeisterte Schwimmerin war und um nichts in der Welt unter der Erde liegen wollte! Man solle sie verbrennen, hat sie verfügt, und die Asche in die Donau streuen.
„Aber“, ruft die Gerti entsetzt, „das ist doch verboten!“ – Ja, sagt der Nesdrubal, darum wĂĽrde er die Urne auch heimlich ausgraben, und morgen, da will er mit ihr noch einmal zum Heurigen nach Nussdorf fahren und ihr dann ihren letzten Wunsch erfĂĽllen.
Tja, was hätten Sie an unserer Stelle gemacht? Also wir, wir haben so getan, als würden wir Blumen setzen am Grab, während der Nesdrubal seine Monika ausgebuddelt hat. Dann sind wir heim gefahren, und am nächsten Tag haben wir die beiden nach Nussdorf begleitet, ein Gläschen auf die Verstorbene getrunken, und sind dann runter zur Donau. Der Nesdrubal hat die Urne geöffnet, die Asche ins Wasser rinnen lassen, und eine weiße Rose nachgeworfen. Bis bald, Monika, hat er ganz leise gesagt, und ihr nachgeschaut. Schön war das. So richtig andächtig. Viel schöner als auf jedem Friedhof.

© renate schiansky 2025-03-24

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Reflektierend
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