von Helga M. Stadler
Welches Farb-Mascherl trägt eigentlich Literatur?! Hat Literatur überhaupt eine bestimmte Farbe, bestimmtes Geschlecht oder bestimmte sexuelle Orientierung?
Anlässlich des Muttertags habe ich mit einer netten Story.one-Kollegin aus Hamburg, die über ihr imaginäres 3. Kind schrieb – einen Literaturkreis, den sie seit 2004 mit Hingabe leitet –, Gedanken ausgetauscht. Dabei entspann sich eine interessante Diskussion über Literatur bzw. den Literaturbetrieb. Im Zuge dessen fiel dieses böse, wirklich böse Wort, das mir, wenn ich es nur höre oder lese, die Nackenhaare aufstellen oder mir die nicht vorhandenen Bauchmuskeln zusammenkrampfen lässt: FRAUENLITERATUR.
Ein Begriff, der fĂĽr mich stark negativ konnotiert ist, schon fast diskriminierend-beleidigend klingt, und mich an die weniger prominent besetzten Regale und die in rosa gehaltenen PlĂĽschecken in den Buchhandlungen erinnert!
Frauenliteratur bezeichnet laut Definition „ein Genre sowohl belletristischer als auch essayistischer Literatur, die im weitesten Sinne als Literatur von Frauen, über Frauen oder für Frauen beschrieben werden kann“. Soweit, so gut. Was heißt das jetzt konkret? Dürfen also bestimmte Werke ausschließlich von Frauen gelesen werden und was passiert, wenn sich doch mal ein Mann daran vergreift? Oder heißt das, dass eine Autorin an ihrem Schreibtisch, sich darüber Gedanken machen muss, an welches Publikum sie sich wenden und über welche Themen sie schreiben soll oder darf? Themen etwa, wie Beauty und Aussehen, Kinder und Haushalt, Sex und Partnerschaft, Alter, Pflege und Sterben?!
Und was, wenn eine Autorin doch lieber einen männlichen Protagonisten wählt? Nennt man das dann Frauenliteratur für Männer oder doch eher Männerliteratur von Frauen? „Männerliteratur“ – schon mal gehört?
Weiterer Gedankengang: Warum gibt es diese antiquierte Gender-Unterteilung nur in der Kunstgattung Literatur? Es gibt kein explizites Frauentheater, keine Frauenmalerei, keinen Frauentanz, keine Frauenbildhauerei, keine Frauenmusik. Bei Filmen bin ich mir nicht so sicher, gelten doch „Herz-Schmerz“-Streifen als typisch weiblich.
Dass der Literatur- und Rezensionsbetrieb männlich dominiert ist, verwundert nicht und niemanden, obwohl es anteilsmäßig mehr Leserinnen als Leser gibt: Es herrscht ein Ungleichgewicht bei Autoren, Kritikern, Rezensionen, Literaturpreisen (Autoren gewinnen fünfmal mehr Preise als Autorinnen!) und wahrscheinlich auch bei den Honoraren. Eigentlich müsste es demnach der und nicht die Literatur heißen.
Fazit: Die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten sicherlich stark verbessert, weil immer mehr talentierte und großartige Autorinnen weltweit für ein breites Publikum schreiben und endlich wahrgenommen werden. Aber warum immer dieses Schubladisieren und Kastldenken, warum Blau vs Rosa? In jedem Fall ist noch Luft nach oben …
Übrigens: Wie wär´s mit einem Literaturkreis in Wien?
© Helga M. Stadler 2020-06-20