Träum‘ dich davon (I)

Tobias Eber

von Tobias Eber

Story

Er stellte die Wassertemperatur noch etwas höher und schloss die Augen. Unter der Dusche konnte er alles sein, dieser geflieste Quadratmeter hinter der gläsernen Wand bedeutete Freiheit für ihn. Wie oft schon hatte sich nach dem Schritt in die Wanne der große Vorhang geöffnet und er war von begeistertem Applaus empfangen worden, während er von hinten durch die Kulissen gelaufen kam. Auf das Zeichen des Dirigenten hatte er seine Stimme erhoben und die Arie gesungen, für die seine Rolle so berühmt war. Und mindestens genauso oft war statt eines Strahls heißen Wassers ein Lichtkegel aus dem Duschkopf gekommen und er hatte sich im Scheinwerferlicht auf den Bühnen der größten Rockkonzerte wiedergefunden. Im Duett mit Eric Clapton hatte er dann die Halle zum Jubeln gebracht und war neben Elton John am Klavier gesessen, während im Publikum Feuerzeuge im Takt geflackert hatten.

Heute aber stand er auf keiner Bühne. Er sang auch nicht oder sonnte sich im warmen Applaus der Menge. Stattdessen stand er mitten im Nirgendwo. Es war Nacht und von der Umgebung war nichts zu sehen. Das störte ihn jedoch nicht im Geringsten, denn automatisch hob sich sein Blick nach oben: Über ihm spannte sich der Nachthimmel auf – unendliches Schwarz, gespickt mit Abermillionen Sternen. Sobald er sich auch nur einen Moment auf eine Stelle konzentrierte, konnte er im Nichts zwischen den Lichtern unzählbar viele neue Lichtpunkte entdecken. Er stand nur da und staunte. Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und ein Beobachter hätte seinen leicht offenstehenden Mund bemerken können, wenn er sich nicht selbst vom Anblick des Lichtermeeres über ihren Köpfen in seinen Bann hätte ziehen lassen. Aber er war alleine und niemand beobachtete ihn und so konnte sich auch niemand an seiner Mimik stören. Und so stand er da. Unter seinen nackten Füßen spürte er das weiche Gras. Sein Hemd und seine Hose lagen leicht auf seiner Haut und wurden von einer warmen Brise sanft bewegt. Es war still um ihn her. Kein Motorenlärm störte ihn, nur die Geräusche der Nacht spielten seine ganz persönliche Nachtmusik. Es gab auch keine Großstadtlichter, die den Glanz der Sterne verschlucken konnten und eine helle Dunsthaube über die Landschaft legten. Nur ab und zu wurde das Lichtermeer durchbrochen, wenn eine Sternschnuppe stumm ihren Schweif über dem Horizont nach sich zog.

© Tobias Eber 2021-02-14