Hat sie jemals Wolkenschlösser gebaut? Ist sie überhaupt Träumen nachgehangen?
Man nannte Elisabeth ein träumerisches Kind, weil sie oft weit entfernt zu sein schien. Ja, sie ist oft geflohen aus der Wirklichkeit, aber mehr in Bücher- als in Traumwelten. Sie war aber auch sehr realitätsbezogen.
So sehr, dass sie die Träume, die sich erfüllen wollten, versäumte. Komm mit nach Australien sagte Bruce, ich verhelfe dir zu einem Job und du weißt, Australien ist das Land mit unbegrenzten Weiten. Ja, als Elisabeth Jahre später den Film, “Dornenvögel” sah – die Schafherden, die endlosen Fluren und dazu dieses Sehnsuchtslied erklang. Hat sie es bereut? Nein, aber davon träumen ist schön!
Als Joshi sagte, komm mit nach Paris, die Stadt der Maler, der Boheme, der Liebe sah Elisabeth keine Perspektive mit ihm. Und doch träumte sie von Paris und mit ganz Paris von der Liebe. Hat sie es bereut? Nein, aber davon träumen ist schön.
Mit Herbert nach Kanada oder eine Hochzeit mit Ray in England; auch für Neuseeland und Amerika taten sich Möglichkeiten auf. Elisabeth blieb – nicht wegen der Berge oder sonstiger Heimatgefühle. Sie blieb, um ihrer Beziehungen willen und um hier ihre Träume zu leben: Matura im Abendgymnasium, Studium und den größten aller Träume – eine Familie!
Viele Jahre war keine Zeit zum Träumen – nur ganz im Geheimen, nur ein bisschen, nur ganz kurz die Zeit vergessen – bis ans Ende der Welt laufen, am Meer, in der Wüste, in Wolkenkratzern oder Baumhütten sitzen und endlos Sonnenuntergänge schauen.
“Ich möchte am Abend mit dir auf fremden Balkonen sitzen – und dann breit ich mich einfach aus in dir, wir werden wesentlich und dann leben wir. Und dein Lächeln fällt in kleinen Bissen herab, zu mir. Ich möchte am Abend mit dir auf behäbigen Pferden reiten und die Nacht … endlos …“ (Konstantin Wecker).
Mit einem Eisbrecher und Hundeschlitten in die Arktis – endlose Eiswüsten, totale Finsternis, absolute Stille, Funkeln der Sterne und Eiskristalle – Nordlichter und Mitternachtssonne und warme Nähe im Zelt. Den Traumpfaden und Songlines der Aborigines folgen, in ihre mystischen Welten schnuppern und Ayers Rock beim Sonnenuntergang. Die Wölfe in Sibirien heulen hören und auf Pferden durch die Tundra jagen. Nicht Kreuzfahrtschiffe, aber die Donau bis zum Schwarzen Meer entlangschippern vielleicht sogar bis Istanbul und dann mit dem Orientexpress zurück. Alle Städte sehen, alle Leute kennenlernen und auf Wolken spazieren gehen – davon hat sie schon als kleines Kind geträumt.
In Afrika auf einer Terrasse im Schaukelstuhl sitzen, zu den Fieberbäumen schauen und auf Robert Redford warten. Dann Rotwein trinken und zur Musik aus dem alten Grammofon tanzen. Im Morgengrauen über Steppen und Wüsten segeln und den Pulsschlag des Lebens spüren – unter mir, über mir, neben mir, in mir.
Oh, mein Gott, wo bin ich gelandet – auf der Erde. Gottseidank eine sanfte Landung. Das Leben ist gut. Das Leben ist schön. Träume gehören dazu – auch die Klischees.
© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-04-26