Traumtagebuch – 23. Eintrag

Anika Schäfer

von Anika Schäfer

Story

Ich war mit meiner Mutter in einem Casino unterwegs. Nicht in der Wirklichkeit, natürlich, sondern in meinem brandneusten Nachttraum. Die Anblicke waren eine Überforderung für den Sehsinn – überall blinkende Lichter, die in den herrschaftlichen Marmorwänden und -Böden gespiegelt wurden. Kellner in edlen Anzügen und vergoldeten Tabletts liefen herum, immer darauf bedacht, den Gästen jeden Wunsch aus den Augen abzulesen. Es war nicht zu übersehen, dass die Gäste Spaß hatten. Sie lachten und spielten, und lachten sogar dann noch, wenn sie verloren, jedenfalls war die Stimmung prächtig. Auf den ersten Blick zumindest. Darunter lauerte etwas, das man nur als dunklen Schatten bezeichnen kann. Es war wie ein Missklang in der nichtssagenden Fahrstuhlmusik, die aus den Boxen waberte, wie ein bitterer Geschmack auf der Zunge, nachdem die Süße abgeklungen war. Meine Mutter und ich bemerkten es beide – hier war etwas faul. Um herauszufinden, was es mit dieser Vorahnung auf sich hat, schlugen wir den Weg zu den Privaträumen des Casino-Inhabers ein. Eine Wache stand davor, doch sie war jung und nachlässig, sodass es uns ohne Probleme gelang, in die Privatgemächer hineinzukommen. Kaum standen wir im Wohnzimmer, erwischte mich allerdings ausgewachsene Panik. „Wenn der Casino-Besitzer jetzt reinkommt“, zischte ich, „stecken wir mächtig in der Klemme. Lass uns wieder gehen!“ „Kommt nicht infrage“, erwiderte meine Mutter voller optimistischem Tatendrang. Während sie eine Holztreppe emporeilte, erteilte sie mir noch die Aufgabe, dass ich Schmiere stehen sollte. Dann war sie verschwunden, und ich war allein mit meinem Herzklopfen. Das sich sogleich um das Hundertfache steigerte, als mich plötzlich eine Frau entdeckte. Ihr T-Shirt saß schief und war verdreckt, ihre Haare strähnig und ihr Gesichtsausdruck gehetzt. In ihren Armen balancierte sie ein Baby mit dunkelbraunen Haaren. Es schrie so heftig, dass seine Haut rot angelaufen war. Merkwürdigerweise … fragte sie mich jedoch nicht, was ich hier machte; unerlaubt. Unbefugt. Stattdessen hielt sie ihre Hand schützend über den Hinterkopf ihres Babys und sah mich flehentlich an. „Er ist grausam!“, flüsterte sie mir zu. Ich musste mich nicht erkundigen, wen sie mit er meinte. „Er hat ein Geheimnis, ein schreckliches!“ Tränen der Verzweiflung quollen aus ihren Augenwinkeln. „Ich habe es herausgefunden und jetzt droht er, mir mein Kind wegzunehmen.“ In meine Panik mischte sich Beklommenheit. Ich trat näher an die Frau heran, versuchte sie zu überreden, dass sie mir das Geheimnis mitteilte. Doch sie verweigerte es mir. „Das geht nicht.“ Ihre Stimme war kaum lauter als das Lachen der Casinogäste, das nur noch gedämpft durch die Türen drang. „Ihr müsst es selbst herausfinden.“ Ich gab mir einen Ruck. „Das werden wir“, versprach ich der Unbekannten. „Wir werden in Erfahrung bringen, welche Geheimnisse er hütet.“ „Und dann werden wir ihn in den Ruin treiben“, ergänzte meine Mutter, die in diesem Moment wieder auf der Treppe aufgetaucht war. Sie hatte nichts gefunden im Obergeschoss, aber das was unwesentlich. Plötzlich waren wir fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Wir ließen die Privaträume hinter uns und kehrten zurück in das Casino, um dort sämtlichen Spuren nachzugehen, die wir ausfindig machten.   


© Anika Schäfer 2025-04-22

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Mysteriös