Treasure -Familie ist ein fremdes Land

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

„Theo, wir fahr’n nach Lodz“ – Vicky Leandros‘ Ohrwurm geistert nur kurz in meinem Kopf herum, als der ältere Edek und die Musikjournalistin Ruth die polnische Geburtsstadt des Vaters im Jahr 1991 besuchen. Das Wandeln auf Edeks familiären Spuren wird zur Tour de force, als der unwillige Vater, der nur noch vergessen möchte, die akribisch organisierte Reiseroute seiner Tochter immer wieder boykottiert. Statt wie geplant mit dem Zug zu reisen, heuert er einen Taxifahrer an, der bald allen ans Herz wächst und selbst vorm gemeinsamen Karaoke-Singen mit seinen Kunden im Hotel nicht zurückschreckt.

Groteskes Vater-Tochter-Geplänkel wechselt sich ab mit Schreckmomenten, wenn das weitläufige, mit Stacheldraht umwehrte Gelände von Auschwitz die Leinwand kapert und die unzähligen Barackenruinen das unermessliche Leid der Unmenschlichkeit vage erahnen lassen. Denn der nach New York emigrierte Edek ist einziger Überlebender einer enteigneten und in den Gaskammern des KZ ermordeten jüdischen Unternehmerfamilie. Seine schockierenden Erlebnisse während des Zugtransports zum und im Lager führen die beschönigende Bezeichnung „Museum“ des ehemaligen Vernichtungslagers ad absurdum.

Einfühlsam wickelt die Regisseurin Julia von Heinz Edeks tragische Lebensgeschichte wie einen hauchdünnen, fragilen Seidenfaden von der Filmspule, erzählt das Unfassbare mit leisen Untertönen. Gerade die stillen Momente verleihen der Geschichte Tiefe und das kollektive Schweigen im Film sowie im Kinosaal berührt zutiefst, lässt die Tränen fließen.

Stephen Frys eindringliches Schauspiel, aber auch das der jungen Amerikanerin Lena Dunham, deren Filmfigur stoisch ihre Familiengeschichte aufarbeiten möchte, überzeugen, lassen keinen Zweifel am authentischen Schicksal eines Holocaust-Überlebenden und der Suche seines Nachwuchses nach ihren Wurzeln.

Erst als der Witwer im Souterrain der enteigneten Familienvilla die vor Jahrzehnten vorsorglich versteckte Besitzurkunde der Fabrik, alte Geburtsurkunden und vergilbte Fotos hervorholt, wird Vater und Tochter klar, dass ihre verschollenen polnischen Familienbande als größter Schatz in der vergrabenen Schatulle der Vergangenheit Wiederauferstehung feiern.

Dank an Pixabay fürs Gänseblümchenfoto

© Silvia Peiker 2024-10-06

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Komisch, Traurig
Hashtags