von Annemarie Hülber
Viele werden sich noch an die Fernsehserie “Ein echter Wiener geht nicht unter” erinnern. In einer Folge musste der Mundl einen Tiroler Verwandten vom Wiener Westbahnhof abholen. Treffpunkt Ozeandampfer. Wahrscheinlich war die Vitrine mit dem großen Schiff, die vor den Zugängen zu den Bahnsteigen stand, damals jedem Wiener ein Begriff. Uns auch.
Im Sommer 1969 fuhren wir mit dem Zug in die Steiermark auf Urlaub. Für uns Kinder war diese Reise sehr aufregend. Denn unser Zug hatte sogar einen Namen: Erzherzog-Johann-Express. Von Wien West nach Stainach Irdning. Schon der Weg zum Westbahnhof war ein Erlebnis. Früh am Morgen marschierten wir los. Zur Strassenbahnhaltestelle der Linie 60. Papa mit 2 Koffern, in denen alles verstaut war, was eine vierköpfige, wanderlustige Familie so braucht. Mama hatte eine Korbtasche mit Proviant, mein Bruder und ich je einen Rucksack mit unseren ganz persönlichen Habseligkeiten: Fußball, Karl May-Buch, Federballschläger und Schwimmflügerl. Einmal umsteigen und wir waren am Westbahnhof. Dort trafen wir unsere Tante Anni. Sie kam mit dem Bus aus Gablitz. Treffpunkt, man ahnt es, Ozeandampfer.
Im Zug machten wir es uns in einem 6er-Abteil gemütlich. Oh, wir fahren schon. Nein, der Zug am Nachbargleis fuhr los. Aber wenn man aus dem Fenster sah, hatte man das Gefühl, der eigene Zug würde fahren. Dann war es endlich wirklich so weit. Zuerst wollten wir Kinder nur aus dem Fenster sehen, was uns aber bald fad wurde. In St.Pölten packte meine Mama Salami- und Käsebrote, harte Eier und Paradeiser aus. Frühstück! Zum Trinken gab es Orangenlimo in pyramidenförmigem Tetrapack. Den spitzen Teil des Strohhalms musste man durch das zugeklebte Loch bohren, dann konnte man trinken. So was Besonderes gab es sonst nie. Wir waren vorerst abgelenkt. In Linz war uns allerdings wieder fad, bis Tante Anni ein Quartettspiel aus ihrer Tasche zauberte. Nächster Halt Wels. Dann Schwanenstadt. Der Name regte meine Fantasie an – eine Stadt voller weißer Schwäne stellte ich mir vor. Aber statt Schwänen gab es hunderte Antennen zu sehen. Auf jedem Gebäude Antennen. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Dann kam Attnang Puchheim. Dort wurden Wagons ab- und umgehängt. Und man konnte kurz aussteigen und Zeitungen kaufen. Dann ging es weiter. Bad Goisern, Bad Ischl. Je näher wir unserem Ziel, Bad Mitterndorf, kamen, um so aufgeregter wurden wir. Pläne für den Urlaub wurden geschmiedet. Der Zug fuhr am Hallstätter See entlang. Die Wagons ratterten über die Bahnschwellen – tuck tu tu tuck. Mein Bruder und ich sangen im gleichen Takt Hallstätter See, Hallstätter See. Dann kam Bad Aussee. Wir fingen an, uns fürs Aussteigen herzurichten. Das ging aber schnell! Bad Mitterndorf, bitte rasch aus- und einsteigen. Wir waren am Ziel. 8 Tage später, nach einem wunderschönen Urlaub, brachte uns der Erzherzog Johann wieder heim. Diesmal wurden wir am Bahnhof von unserem Onkel Franz abgeholt. Treffpunkt Ozeandampfer, eh klar.
© Annemarie Hülber 2022-02-12