Trotziges Kind

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

“Du bist die ganze Woche ohne Maske im Büro in Meetings.”, sag ich, als ich den Timer für den Test starte: “Ist es da wirklich zu viel verlangt, wenn wir schnell den Test machen, um sicher zu sein?” Sie sieht mich böse an: “Seit wann glaubst du denn an den Scheiß? Ich hab nix!” “Aber ich möchte, dass wir den Test machen. Um sicher zu sein. Du kannst gern meine nehmen, dann musst du dir nicht in die Nase popeln, sondern nur das Staberl auf die Zunge legen.”, sage ich sanft und ruhig. Sie steht neben mir, steckt sich eine Kippe an und schenkt sich ein Glas Sekt ein. Ich sage zärtlich ihren Namen: “Geht das, bitte?” Sie sieht schweigend aus dem Fenster, als wär ich gar nicht da. Und mit einem Mal steigt in mir der Zorn hoch, und ich brülle sie an: “Machst du jetzt den Scheiß-Test oder nicht, verdammt nochmal? Sonst hau ich hier ab.” Sie zieht schweigend an der Kippe, nimmt einen Schluck. Ich steh auf, pack mein Zeug zusammen, zieh mir die Schuhe an. Sie fragt: “Ist das jetzt dein Ernst?” “Leck mich am Arsch!”, fahre ich sie an, dann schlag ich die Tür hinter mir ins Schloss.

Ich schwing mich auf meine Schöne und brause davon. Ich bin so geladen, dass ich eine ganze Stunde brauch, um mich wieder einzukriegen. Halbwegs. “55 Jahre und benimmt sich wie ein dummes, bockiges Kind!”, maule ich unter meinem Helm. Ich kann mit sowas nicht umgehen. Immer wieder solche kindischen Trotzreaktionen. Ist das zuviel verlangt, den Test zu machen, frage ich mich. Erwarte ich da zu viel? Und wie immer, wenn mir die Sicherung durchbrennt, schalte ich auf Nostalgiegramm und gehe ein paar Jahre zurück in der Erinnerung. Zu meiner Süßen. Solche Diskussionen hab ich mit ihr nie führen müssen. Ich pruste sehnsüchtig und laut aus. Lydia wär selber mit den Tests angekommen, damit wir sicher sein können, dass wir keine Gefahr füreinander darstellen. Wir hätten gelacht, herumgealbert, ein Spiel draus gemacht. Sie hätte kinderreimartig sowas gesungen wie: “Du – hast – die – Seuche!” Und wir hätten uns 15 Minuten lang an den Händen gefasst und mit den Fingern zärtlich gespielt. Ganz normal. Ganz entspannt. Ganz erwachsen.

Es sind diese Momente, in denen sie mir so unendlich fehlt, weil das Leben mit ihr so unkompliziert, so erwachsen, so reif und doch verspielt und lustig war. Weil sie keine Drama-Queen war wegen jedem Dreck, weil sie mir im Denken so ähnlich war. Weil sie niemals hinterfragt hätte, warum ich mir etwas von ihr erbat. Weil meine Wünsche an sie keiner Begründung bedurften. Weil ich mir nie etwas Unmögliches von ihr erbeten hätte, und weil meine Wünsche und Gedanken ohnedies ihre waren und ihre die meinen.

“Scheiße, Pollenfee!”, sag ich. Wir hatten keine großen Themen. Wir hatten nicht mal kleine. Und so konnten wir uns ganz auf die Liebe konzentrieren; sie achtete auf mich und ich auf sie und wir aufeinander.

Sinnlos aufgeblasene Nichtigkeiten ermüden mich so unendlich. Sie kosten mich Zeit, die ich nicht hab. Und wie immer wird sie das Opfer sein, weil ich so grauslich bin zu ihr…

© MISERANDVS 2021-07-30

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