Truthahn

Schreibgestöber

von Schreibgestöber

Story

Der Truthahn, unser namenloser Held der Geschichte, war soeben damit beschäftigt vor dem Metzger des Dorfes, in dem er lebte, zu fliehen. Da er einen mächtigen Leib hatte, fiel ihm das leider gar nicht so leicht. Und so flatterte er und zappelte er und bahnte sich seinen Weg aus dem Gatter auf den Innenhof. Bedauernswerterweise, so musste er schnell feststellen, war das Haupttor verschlossen, der Bauer musste bereits mit seiner Flucht gerechnet haben. Die schweren Schritte des Metzgers direkt hinter sich hörend wusste unser gefiederter Freund sich nicht anders zu helfen und so sprintete er geradewegs auf den Brunnen zu, wie auch immer ihn das retten sollte. Mit einem beherzten Satz sprang er auf den Brunnenrand und konnte sich dann, mit einem Schritt in die ungewisse Tiefe vor sich, gerade noch vor der behandschuhten Hand des grimmigen Mitt-Fünfizigers retten. Bei seinem Sturz den Brunnen hinab wurde dem Vogel bewusst, dass er bei weitem nicht so geschickt im Fliegen war wie die kleinen Spatzen, die ihm oft das Futter stahlen. Und so versuchte er mit seinen kleinen, untrainierten Flügeln, seinen Sturz ein wenig abzubremsen, was ihm mehr schlecht als recht gelang. Er rechnete bereits mit einem dumpfen Aufprall, als er sich nicht mehr in der Luft halten konnte, denn der Brunnen war lange nicht mehr mit Wasser gefüllt, doch falsch gedacht: Er landete im warmen Wüstensand. Verdattert blinzelte das geflügelte Tier der sengenden Sonne entgegen. Ringsherum waren Berge von Sand. In der Ferne schimmerten bunte Farben, bei näherer Betrachtung handelte es sich um einige Gebäude im orientalischen Stil. Froh wohl doch verschont geblieben zu sein ging der Truthahn auf Erkundungstour. Er lief geradewegs auf die Gebäude zu. Ein Mensch hätte mit Leichtigkeit erkennen können, dass es sich um ein Touristengebiet handelte und so liefen dort einige Familien mit dicken Einkaufstüten umher. Der Anblick des großen Vogels entlockte den Anwesenden gleichermaßen Schreie des Entzückens und der Angst und führte bei einer Frau sogar zu einem Ohnmachtsanfall. Und so watete der Truthahn weiter durch die schmale Gasse mit allerlei Geschäften und Verkaufsständen. Er ließ all die fremden Gerüche auf sich einwirken. Plötzlich schrie jemand etwas in einer fremden Sprache. Aus dem Augenwinkel erkannte der Truthahn einen metallischen Gegenstand in der Hand eines Mannes hinter sich, was direkt zu einer weiteren Verfolgungsjagd führte. Die Enge der Gassen machte eine Flucht nicht wesentlich leichter, als sie auf einem Bauernhof gewesen wäre und so hatte der Vogel große Mühe durch die Hindernisse hindurch zu manövrieren. Dies führte dazu, dass er vollkommen übersah, dass er sich in einer Sackgasse befand. Mit einem irren Tempo rannte er geradewegs auf eine schwere Steinmauer zu und schlug sich den Kopf an, sodass er benommen zusammen sackte. Als er wieder zu sich kam, war er auf dem Boden eines Brunnens…

Photo by Randy Fath on Unsplash

© Schreibgestöber 2022-07-11

Hashtags