von Barbara Prinz
Fast hat sie mich eingeholt. Kaum 13 und annĂ€hernd so groĂ wie ich. Auf dem Weg zum Erwachsen werden. Jeden Tag gehen wir ein StĂŒck gemeinsam. Bei der HaustĂŒre hinaus, an der Bahnlinie entlang bis zur BrĂŒcke. Manchmal Arm in Arm eingehĂ€ngt, manchmal nebeneinander. In unserer Verbundenheit brauchen wir frĂŒhmorgens kaum Worte.
Als wir die Stufen zur BahnĂŒberfĂŒhrung hoch steigen, sehe ich plötzlich eine riesige 23 vor uns. Die Ziffern hat jemand mit SprĂŒhfarbe mitten auf der BrĂŒcke notiert. Meine Tochter grinst mich an. Wortlos. Ich nicke. Mittlerweile weiĂ sie um die Bedeutung solcher Zahlen. âJa! Unsere Intuition und unser GespĂŒr schenken uns Energie! Solche Begabung, Zahlen zu ĂŒbersetzen, ist sehr wertvoll!â
Am Ende der ĂberfĂŒhrung verabschiede ich mich von meiner Tochter, unsere Wege trennen sich. âTschĂŒss, Mama!â, sagt sie, meine groĂe Kleine!, als sie zurĂŒck blickt. Ihre Augen glĂ€nzen, sie schickt mir einen Kuss. Mich berĂŒhrt dieses Erleben. Als sie sich abwenden mag, erkenne ich Ăberraschung in ihrem Gesicht.
âSchau!â, flĂŒstert sie, ich folge ihrem Blick und entdecke eine wunderschön gelb-orange Sonne, die krĂ€ftig durch den kalten Morgenreif strahlt. âWow!â Wir sind mitten auf der BrĂŒcke. Meine Tochter und ich. Eine S-Bahn fĂ€hrt quietschend unter uns durch. Wir realisieren es kaum.
FĂŒr diesen einen besonderen Moment steht die Zeit still. âTschĂŒss, Mama!â âTschĂŒss, bis spĂ€ter! Hab Dich lieb! Viel GlĂŒck bei der Schularbeit heute!â Ich bin dankbar fĂŒr die Verbundenheit. Und ich bin dankbar fĂŒr die Wunder, denen wir tĂ€glich begegnen dĂŒrfen. Gemeinsam. Mir kommt die Symbolik der BrĂŒcke in den Sinn. Die BrĂŒcke steht fĂŒr mich fĂŒr âEntwicklungâ. Im Hinblick auf meine Begleitung meiner Tochter bezeichnet es auch das âLoslassenâ auf diesem Weg. âBeginn und Endeâ oder âEnde und Neubeginnâ. Wie es eben stimmig ist. Ich erkenne auch die Bedeutung: âĂbergang vom Heute ins Morgenâ. Oder vom âDiesseits ins Jenseitsâ, vom âIrdischen zum Himmlischenâ.
âTschĂŒss!â, flĂŒstere ich gedankenversunken und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Seit sehr vielen Jahren fahre ich zum AKH. Mein Dienst ruft. Ich gehe auch hier ĂŒber eine ĂberfĂŒhrung. Ich bleibe kurz stehen und ĂŒberblicke das GelĂ€nde. Auch hier strahlt mir die Wintersonne entgegen.
âDanke fĂŒr die Symbolkraft!â, denke ich und genieĂe eine Sekunde Freude in mir.
© Barbara Prinz 2019-12-13