von Sandra Leis
Der berühmt-berüchtigte Tunnelblick ist eigentlich ziemlich „typisch männlich“. Es ist jener Blick, den Mann aufsetzt, wenn er in den Kühlschrank schaut und durstig feststellt, es sei schon wieder kein Bier darin. Nun geht Frau zur kühlenden Vorratskammer und entnimmt ohne zu Zögern das traditionelle Hopfenwasser aus dem Türfach. Dieses befindet sich nämlich außerhalb des Augenblick-Tunnels des Liebsten. Vielleicht aber in diesem Falle ein Beweis, dass Bier ein Frauengetränk ist, da es Phytohormone enthält, die den weiblichen Östrogenen ähnlich sind.
Anderes Beispiel: Warum glaubt ihr, sind die Kühlis von Singlemännern meist leer? Sie schauen hinein, sehen den Käse in der Mitte des Kühlschranks und sind der Überzeugung, er sei prallvoll.
Verzeiht es ihnen, liebe Damen, denn sie können nichts dafür. Kommt dieses Talent doch aus der Steinzeit, wo es ums Überleben ging. Der Fokus war auf die Beute konzentriert, links und rechts schauen war einfach nicht drin.
Manchmal kommt auch bei Frauen diese männliche Eigenschaft ans Alltagstageslicht. Es gibt Momente im Leben, da wird´s plötzlich dunkel. Wer kennt diese Phasen der Melancholie nicht? Oder anders gefragt: Wer fährt gerne in einen Tunnel? Am liebsten fahren wir doch alle wieder hinaus. Und genau das ist das Positive an einer Tunnelzeit. Es gibt bei einem Tunnel immer eine Einfahrt, aber zu 100 Prozent auch wieder eine Ausfahrt. Sonst wäre es ja logischerweise eine Höhle. Manchesmal gibt es sogar Tunnel mit Seitenausgängen, die mag ich am allerliebsten.
Diese einzigartige Erkenntnis eröffnete sich mir am Ciclovia Alpe Adria (Alpen Adria Radweg), geradelt von Carnia bis Tarvis. Der Weg führt durch unzählige Tunnels, jeder davon einzigartig, faszinierend und respekteinflößend. Bereits vor dem ersten Tunnel wollte ich aufgeben und umkehren und, da ich vergessen hatte, Radlichter zu montieren. Es war nicht unbedingt die Angst, zuwenig zu sehen, sondern eher die berechtigte Sorge, übersehen zu werden. Ich fuhr trotzdem den Tunnelweg, um am Ende des letzten Tunnels die unglaubliche Erleuchtung zu haben, dass ich doch Lichter montiert hatte (Zur Erklärung: Ich leihte mir das Rad meiner Tochter, die natürlich von ihren verantwortungsbewussten Eltern ein Rad mit Licht bekam). Ich war fassungslos: Ich fuhr tatsächlich die ganze Zeit über durch dunkle, kalte Berglöcher OHNE Licht, um am Ende des Tunnels die Erkenntnis zu haben, dass ich eh Licht bei mir hatte.
Wenn das nicht wieder eine besonders lichtvolle Lektion in meiner persönlichen Lebensschule war?
Fazit: Jeder Einzelne von uns ist pures Licht und kann sich immer und überall, und vor allem in besonders dunklen Zeiten entscheiden, sich seinen Weg hell zu erleuchten.
© Sandra Leis 2022-02-18