Tür zu. Samira Angst.

Charlotte Marek

von Charlotte Marek

Story

Der nächste Deutsch-Unterricht findet in der Bibliothek statt. Das freut Theo so sehr, dass er gar nicht mehr an seinen Plan denkt, Samira zu ärgern. BIBLIOTHEK, allein das Wort klingt für Theo wie ein Reich voller Schätze. Er kennt sich auch schon richtig gut aus zwischen all den Büchern.

„So, wir gehen jetzt gaaanz leise nach oben. Jeder schnappt sich ein Buch und ich zeige Samira alles. Theo, nimmst du bitte meinen Schlüssel mit?“ Theo kennt das schon, Frau Urban nimmt ihn gerne als Schlüsseldienst, weil sie weiß, er macht keinen Quatsch und gibt ihr den Schlüssel gleich wieder zurück. „Psst“, ruft sie der 3 c nach, die sich die Treppen nach oben schiebt, natürlich ohne besonders leise zu sein. Oben angekommen schließt Theo die Tür auf und lässt seine drängelnden Mitschüler hinein. Frau Urban kommt als letzte, wie immer hat sie noch was im Klassenzimmer vergessen. Im nächsten Moment ist es Theo so, als hätte er eine sichtbare Glühbirne über seinem Kopf schweben. Wie bei der Fernsehsendung „Wickie und die starken Männer“. Der reibt sich dann noch mit dem Finger die Nase, wenn ihm was Tolles einfällt und sagt: „Ich hab´s“. Natürlich sagt Theo das jetzt nicht laut. Er verhält sich stattdessen ganz still und schiebt sich den Schlüsselbund von Frau Urban in die Tasche seiner Shorts. „So, dann legt mal los, Mäuse. Ihr kennt euch ja aus. Nicht so laut, bitte und die Bücher kommen wieder dahin, wo sie waren. Samira bleibt bei mir.“ Alle verteilen sich quer im Raum, holen sich Bücher und werfen sich mit lautem Stöhnen in die Sitzkissen der Leseecke. Theo steht vor den Comics und kann sein Glück kaum fassen. Frau Kaiser ist ja heute gar nicht da. Das heißt, er muss nur als Letzter mit Samira in der Bibliothek bleiben, um sie dann …

Frau Urban schaut auf die Uhr. „Ach, ihr Lieben. Das ging mal wieder schnell rum. Alle Bücher weg und an der Tür aufstellen. Theo, du schließt ab.“ Als der Letzte auf dem Weg ins Klassenzimmer ist, schnappt sich Theo Samiras Arm. Die freut sich, als Theo sie zurück in die Bibliothek schiebt. Im nächsten Moment hat er die Tür abgeschlossen und den Schlüssel wieder eingesteckt. Schon hört er Samira drinnen heulen und an der Klinke rütteln. „Na, kleines Baby. Willst du raus?“, fragt Theo. „Aber erst sagst du deiner Mutter, dass du nie mehr zur Schule willst, kapiert?“ Samira antwortet: „Jaaaaa“ und Theo muss jetzt schnell aufschließen, bevor jemand was merkt. Er überlegt sich, dass er das unbedingt noch mal machen muss, damit Samira richtig Angst vor der Schule kriegt.

„Theo und Samira“, ruft Frau Urban jetzt durchs Treppenhaus. „Wo bleibt ihr denn?“ Dass Samira ganz verheult ist, dafür fällt Theo schon was ein. Logisch, es war natürlich ihre Schuld und nicht seine. Er wird Frau Urban sagen, dass sie froh sein kann, dass er, Theo, noch mal richtig nachgeguckt hat vor dem Abschließen. Da habe er Samira nämlich entdeckt, wie sie fast mit dem ganzen Bücherregal umgekippt wäre und dann eben furchtbar zu weinen angefangen hätte. Das glaubt ihm Frau Urban sicher. Sie wird sich bei ihm bedanken, vielleicht darf er sich was aus der Schatzkiste nehmen und für einen Moment wäre alles so wie früher, ohne diese Bekloppte. Als Theo die Tür endlich aufschließt, geht Samira ohne ein Wort an ihm vorbei.

© Charlotte Marek 2024-03-10

Genres
Romane & Erzählungen