U-Bahn Geschichten

Sonja Aufreiter

von Sonja Aufreiter

Story

Eine Zeit lang habe ich mich gewundert, was sich die ganzen Menschen in der U-Bahn denken, wenn sie mal wieder meinen Arm anstarren. Finden sie mich hässlich? Erinnere ich sie an einen Bekannten? Oder an das eine Mal wo sie es selbst ausprobiert haben? Wollen sie mir sagen, dass ich sie nicht so offen zeigen soll? Oder wünschten sie sich, dass mehr Leute ihre Narben offen tragen? Ich weiß vom Großteil nicht, was sie denken, bis auf von den paar Menschen die sich mir mitteilen, auf dem einen oder anderen Weg.

Einmal bin ich in der U-Bahn gesessen und ein kleines Mädchen hat auf mich gezeigt. Ihre Mutter saß daneben und hat sofort ihren Arm hinuntergegeben. Nicht peinlich berührt, sondern einfach nur aus Höflichkeit. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie die Mutter der Tochter anscheinend erklärende Worte zuflüsterte. Das Mädchen, immer noch mit den Augen auf meinen Arm fixiert, nickte verständnisvoll und blickte dann zu ihrer Mutter, stellte noch eine Frage und wurde wieder aufgeklärt. Es war sehr schön zu sehen, wie die Mutter offen mit ihrer in etwa siebenjährigen Tochter reden konnte.

Ein andermal bin ich aus der U-Bahn ausgestiegen und ein Mann, vom Aussehen her verwahrlost, bemerkte meinen Arm. Er schrie etwas Unverständliches und gestikulierte übertrieben groß. Er nahm seinen einen Arm und deutete Schneide-Bewegungen an seinem anderen Unterarm an während er mich im Auge behielt. Es war unangenehm zu sehen, wie ich auf diesen Mann wirken musste.

Wiederrum ein andermal saß mir ein Mann gegenüber, der auffallend lange, während einigen Stationen der Fahrt, auf meine Narben blickte. Plötzlich sprach er mich an und sagte, dass ich Vitamin E probieren soll. Reines Vitamin E bekommt man nur in der Apotheke, nachdem man dort hartnäckig nachfragt, meinte er zusätzlich. Ich begann ein Gespräch mit dem Herrn, war ich doch zu dieser Zeit sehr neugierig, was sich die Menschen dachten. Er gab sich als Akademiker aus, der diesen Tipp schon von einigen, ebenfalls Akademikern bekommen hatte. Das ganze Gespräch lang ging er mit einem großen Selbstverständnis davon aus, dass ich meine Narben gerne verschwinden lassen wollen würde. Ich korrigierte ihn nicht, hätte die Ambivalenz dieser Frage das Gespräch doch gesprengt. Es war interessant zu sehen, wie dieser Mann mir helfen wollte.

Das nächste Mal war ich mit Freunden in der U-Bahn. Als wir ausstiegen, kam eine Frau auf mich zu, welche ich schon in der U-Bahn bemerkt hatte, da sie mich angestarrt hatte. Sie fragte, was mein Name sei. Verwundert fragte ich, weshalb sie das wissen wollen würde. Sie meinte, dass sie gerne für mich beten wollen würde. Da ich nicht religiös bin und äußerst unangenehm berührt war, einer fremden Person meinen Namen mitzuteilen, sagte ich ihr einen falschen Namen. Es war verwirrend zu sehen, wie eine Frau auf die Idee kam, für mich beten zu wollen.

© Sonja Aufreiter 2022-12-26

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