Über eine seltene Krankheit – Teil 1

Gabriele Wagner

von Gabriele Wagner

Story

In der Weihnachtsnacht um vier Uhr früh wurde unser viertes Kind geboren. Mein Mann und die Hebamme schliefen in Lehnstühlen bis ich sie weckte. Die Geburt war unkompliziert und schnell. Ein kleines zartes Mädchen wurde uns geschenkt. Sie war fünfundvierzig Zentimeter groß. Ich dachte damals an die Babyborn Puppen die auch diese Größen hatten.

Nach drei Monaten kam meine Mutter zu Besuch, und meinte unsere Tochter wäre für ihr Alter zu klein. Wir selber nahmen es nicht wahr, denn die Liebe will manches nicht wirklich sehen. Der Kinderarzt, den ich aufsuchte, sagte, sie hätte einen primordialen Kleinwuchs. Das heißt angeborener Kleinwuchs.

Nach einem halben Jahr besuchte ich mit unserer Tochter eine Klinik. Ein älterer Arzt berichtete trocken unsere Tochter hätte ein Silver-Russell-Syndrom. Bei dieser Diagnose schossen mir die Tränen in die Augen, es hörte sich für mich sehr schlimm an. Mit dem Kind im Arm fuhr ich mit dem Zug nach Hause. Ich fühlte mich wie erschlagen. Nun versuchte ich alle möglichen Informationen über dieses schrecklich klingende Syndrom herauszufinden. Je mehr ich erfuhr, desto sicherer wurde ich, dass unsere Tochter das nicht hatte. Sie blieb ein kleines zartes Kind mit vielen Locken und jeder hatte sie lieb. Sie wurde viel jünger eingeschätzt. Sie genoss es, oft getragen zu werden, denn ihre Beine konnten mit den unseren nicht mithalten. Die Essensportionen hätten andere Eltern zur Verzweiflung gebracht aber mit dem vierten Kind wird man gelassener.

Nach zirka drei Jahren las ich in der Zeitung von einem Arzt eines größeren Krankenhauses, der Eltern aufrief, sich zu melden, deren Kind entweder auffällig zu groß oder zu klein waren. Ich meldete mich und meine Tochter wurde daraufhin genau untersucht. Nach einiger Zeit sagte uns der Arzt, dass unsere Tochter ein Laron-Syndrom hatte. Eines der ganz seltenen Krankheiten in unserer Welt. Genaugenommen weltweit ungefähr dreihundert bekannte Fälle. Das war unser Lottosechser.

Wir wussten jetzt was unsere Tochter hatte, aber sonst gab uns der Arzt keine Hoffnung etwas tun zu können. Mir ließ es keine Ruhe und ich erfuhr über Endokrinologen aus Deutschland, dass es in Wien einen Spezialisten gab der für Kinder zuständig war. Wir wurden von ihm eingeladen und die Untersuchungen begannen von neuem. Als die Diagnose, ein Gendefekt, den mein Mann und ich unbekannterweise in uns trugen und der zu fünfundzwanzig Prozent das Laronsyndrom auslösen kann, bestätigt wurde eröffnete der Arzt uns die Möglichkeit einer Therapie. In Amerika lief gerade eine Studie von einem Medikament, das für unsere Tochter passen könnte.

© Gabriele Wagner 2021-06-08