Über-Setzen

Wortweberin

von Wortweberin

Story

„Warum schreibst du eigentlich nicht?“, fragst du.

In meinem Kopf ĂŒberholen sich die Antworten:

– Danke fĂŒr die Frage, ich nehme sie als Kompliment.

– Ich schreibe schon, aber nur fĂŒr mich.

– Ich ĂŒbersetze – das ist auch Schreiben.

Was ich alleine schreibe war bisher fast immer nur fĂŒr meine Augen. Darin habe ich wie in einem Tagebuch das AufgewĂŒhlteste und Verletzlichste von mir in Gedichte geflochten und Traumbilder und Fantasien zu Worten werden lassen. Das zu teilen hĂ€tte sich angefĂŒhlt, wie nackt auf die Straße zu gehen.

Aber ich finde es ohnehin spannender, nicht fĂŒr mich alleine, sondern in der Resonanz zu schreiben.

Wie weit das geht, war mir gar nicht klar. Aber wie ich so durch meine alten Texte blĂ€ttere, fĂ€llt mir auf, dass durch sie andere Stimmen hindurchscheinen, die ich zu der jeweiligen Zeit intensiv gelesen habe. Das trifft auf Trivialliteratur genauso zu wie auf andere und so steht die Erich Fried Phase friedlich neben der von E. L. James – wie Erich das wohl finden wĂŒrde. Ich kann Rilke so gut verstehen, wenn er schreibt: „Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rĂŒhrt? 
 Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen, an einer fremden stillen Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.“

Eigentlich gar nicht so erstaunlich, dass ich zur GedichtĂŒbersetzung gekommen bin.

Manchmal ist da ein Gedicht, das zu mir spricht, das mich einlĂ€dt, es zu erkunden und mit ihm zu spielen. Dann lausche ich ihm und warte, was es in mir zum Klingen bringen will. Ich taste mich vorsichtig im Raum seiner Möglichkeiten voran, wie durch einen Traum, in dem der Boden unter den FĂŒĂŸen nicht zu bleiben gewillt ist, was er gerade noch war, und schon gar nicht fest. Und daraus setzt etwas ĂŒber, setzt sich ĂŒber die Grenzen zwischen Sprachen und Schreibenden hinweg. Es formt sich als etwas Neues, etwas, das nicht nur von dem anderen kommt und nicht nur von mir, sondern nur in der Interaktion, im gemeinsamen Schwingen ins Sein kommen kann. Das ist wie eine intime Begegnung: Ich öffne mich, lasse die BerĂŒhrung zu und lasse die Worte eines Anderen durch mich hindurchfließen. Dabei gebe ich ihnen etwas von mir mit, in dem Wissen, dass auch in mir etwas von jeder dieser Begegnungen zurĂŒckbleiben wird.

In gewisser Weise ist Übersetzen also nicht so anders als das Schreiben einer Einzelnen: Niemand schreibt im luftleeren Raum, alles Schreiben ist ja berĂŒhrt von Begegnungen, ein Vielklang aus tausend Stimmen, die in jedem sich neu formenden Text mitschwingen. Der Unterschied ist vielleicht, dass im Übersetzen die Interaktion enger ist, ein eng umschlungener Tanz in der Resonanz. Vielleicht ĂŒbersetzte ich deshalb so gerne.

Das alles kommt spÀter. Aus meinem Mund kommt nur die zweite Antwort. Der Rest ist hier zur Geschichte geworden.

© Wortweberin 2021-03-03

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