von Andreas Trimmel
Ein spĂ€ter Morgen. Auf einer mehrspurigen StraĂe, ganz geradlinig, moderat abschĂŒssig. Ein feiner Schleier, ein kleines Andenken der noch nicht ganz fernen Nacht, hĂ€ngt knapp ĂŒber dem rauen Asphalt und taucht die Fahrbahn in einen dĂŒnnen, fast mystisch anmutenden Nebel, der mit dem morgendlichen Verkehr trĂ€ge abwĂ€rts flieĂt. Immer wieder reiĂen rotierende RĂ€der Fetzen aus dem schummrigen Schleier. Und immer wieder vereinen sich diese Fetzen unbeeindruckt zu einem zusammenhĂ€ngenden Teppich.
Ich bin unterwegs ins BĂŒro. Im Lars, meinem fahrbaren Untersatz. Beide sind wir hellwach, beide horchen wir den KlĂ€ngen. Lars denen der anderen Wagen – dem Konzert der Motoren, den Kantaten der Getriebe, den ChorĂ€len der BremsbelĂ€ge, dem Requiem der Auspuffe.
Ich nur denen aus dem Radio. Bono voxt mir sein âWith or Withou Youâ in die Ohren. Ich beschlieĂe, es nicht persönlich zu nehmen, nein. Vielmehr versteh‘ ich’s als Einladung und entscheide mich fĂŒr das âwithâ. Den richtigen Zeitpunkt abwartend steig‘ ich ein – und schon klingen wir im Duett, wĂ€hrend meine Finger am Lenkrad den Takt trommeln. Kurz ĂŒberleg‘ ich, die Fenster runterzulassen um unserer KreativitĂ€t, unserer Perfektion, unserer Harmonie, freien Raum zu geben. Doch diesen Gedanken verwerf‘ ich gleich wieder. Es herbstlt, es ist ganz schön frisch drauĂen.
Ich konzentrier‘ mich wieder mehr aufs Fahren. Ist auch besser so. Denn ich hĂ€ng‘ direkt hinten an einem flachen schwarzen Porsche dran, der fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Ich nuckle quasi an seinem oberösterreichischen Auspuff, kartografiere jeden einzelnen Dreckspritzer auf seiner StoĂstange.
Ich lassâ mich nicht abschĂŒtteln, wie eine Klette kleb‘ ich dran. An ihm vorbei komm‘ ich allerdings auch nicht. Bonos âwithout youâ verkommt zu einem frommen Wunsch in meinem Innersten.
BeilĂ€ufig werf‘ ich einen kurzen Blick auf die rechte Fahrbahn rĂŒber – und erstarre. Ich trau‘ meinen Augen kaum. Ich schau‘ kurz wieder nach vorn, auf den tief liegenden rauchenden doppellĂ€ufigen Schlot des Porsches. Und dann wieder nach rechts. Keine Ănderung, kein Zweifel. Keine Halluzination, keine alpine Fata Morgana.
Da – fĂ€hrt – et – was.
Gaaaanz laaaangsam schiebt sich da etwas an mir vorbei.
Ich werd‘ ĂŒberholt. Rechts.
Von einem – RADFAHRER. Der mir, den Kragen seines schweren Mantels hochgestellt und unter seiner BaskenmĂŒtze von einem Ohr zum anderen grinsend, einen freundlichen GrĂŒĂ herĂŒberwirft. Und dann nach vorne davonpfeilt.
What the f***!
Ich blicke irritiert auf die Geschwindigkeitsanzeige in meinem Lars. Nicht mal 30 km/h, zittert mir der Zeiger vor. Auf der Gablenzgasse, stadteinwÀrts in Wien.
Schafft der olle Porsche echt nicht mehr?
Ich schere nach links aus und ĂŒberhol‘ ihn. Bei der nĂ€chsten Ampel komm‘ ich neben dem Radfahrer zum Stehen. Wir sehen uns an, blicken gleichzeitig zurĂŒck. Ganz weit hinten rollt der Porsche.
Unsere Blicke treffen sich erneut. Blindes VerstÀndnis. Grins. Zweifach.
© Andreas Trimmel 2021-10-23