Übermorgen schweige ich. Wieder

Tina Eckert Karmalaya

von Tina Eckert Karmalaya

Story

Es ist 4.30 Uhr morgens. Gong. Das Zeichen, um aufzustehen. Im Augenwinkel seh ich meine Kabinennachbarin. Mit Kapuze im Gesicht, wie immer. 6 Tage liegen wir hier schon Bett an Bett. Zwei kleine Tischlein zwischen uns. Ein Vorhang als Tür und Abgrenzung zu den anderen. Zu zwanzigst oder so liegen wir hier in diesem Schlafsaal. Nachts ist es so kalt, dass ich in voller Montur schlafe. Mütze und Schal inklusive. Zwischen Tag- und Nachtgewand zu unterscheiden, scheint hier völlig überflüssig. Es ist egal. Mir ist es egal. Irgendwie liebe ich diese dreckige Freiheit. Einfach sein. Just be.

Darum bin ich hier. Ich hab kein Wort mit meiner Bettnachbarin geredet. Nicht einmal Blickkontakt gab es zwischen uns. Mit niemandem. Denn auch Blickkontakt ist hier untersagt.

Ich befinde mich in einem 10-tägigen Vipassana Retreat in Kathmandu.

Hardcore Meditation.

10 Tage, 10 Stunden am Tag meditieren. Beginn der ersten Einheit: 5 Uhr morgens.

Am 7. Tag bekomm ich erstmals gröbere Bedenken. Ok, Ängste. Ich denke an meine Schwester, die Psychotherapeutin. Angst kriecht meinen Schlafsack hoch. Ich meine mich zu erinneren, mal von Zusammenhängen zwischen solchen Retreats und Psychosen gehört oder gelesen zu haben. Kein Wunder. Wenn ich nicht meditiere, schlafe ich. Dauerdämmerzustand.

Wenn ich nicht meditiere oder schlafe, esse ich – alleine. Die Tische sind aneinander gereihte Schulbänke. Niemand sitzt sich gegenüber. Auch hier bist du allein. Allein neben rund 100 Frauen. Die meisten einheimisch und dann halt noch wir: die westlichen Sinnsucher.

Die Gemäuer erinnern an ein Gefängnis. Und doch ist es Befreiung pur. Das Handy musste ich beim „Einchecken“ abgeben. Nicht mal Stift und Papier sind erlaubt. Nur ich – mit mir. 10 Tage keine Email, keine Nachrichten, nichts.

5 1/2 Jahre ist das nun her. Februar 2015. 3 Monate vor dem großen Erdbeben in Nepal. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Bhagwan (nein, kein Sektenführer, Karmalaya Co-Founder) in Swaragau, einem Bergdorf in der Manaslu-Region in Nepal. 1 Woche vor meinem Retreat. Ama hat über dem offenen Feuer am Lehmofen Wasser aufgekocht, um es später mit Raksi-Reisschnaps für uns zu mischen. „Jaga-Tee“ auf Nepalesisch. Wir sitzen am Boden und sprechen – wieder einmal – über das Damoklesschwert: Das große Erdbeben, das irgendwann in den nächsten 5-30 Jahren erwartet wird. Vielleicht sollten wir unser Büro in Kathmandu übersiedeln. Weiter aufs Land?

Kathmandu…wenn die Erde hier bebt…dann ist alles weg. So sprachen wir. 3 Monate später war es da. Das Büro steht. Aber das Dorf in Swaragau ist quasi dem Erdboden gleich. Es lag 18 km vom Epizentrum entfernt. Dennoch: nur 2 Menschen kamen dort ums Leben. Es war mittags und alle waren draußen. Es war Samstag, deshalb waren auch die Kinder nicht in der Schule. Was für ein Glück. Unzählige Schulen wurden zerstört.

Übermorgen schweige ich wieder. Salzburg statt Nepal. 3 statt 10 Tage. Als Teil meiner Achtsamkeitstrainerin-Ausbildung.

© Tina Eckert Karmalaya 2020-09-21

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