Zu viel. In meinem Kopf schwirrt es und ich kann es kaum erwarten die Stiegen zur Wohnungstür hinaufzukommen. Endlich angekommen. Ich entledige mich der Sonnenbrille und Kopfhörer, trete die Schuhe ab. Mit einem mechanischen Klacken dreht sich der Schlüssel im Schloss. Auf der anderen Seite der Tür tappen ungeduldige Pfoten, sehnsüchtig darauf wartend, dass sich das Portal zur Außenwelt öffnet. Ich schlüpfe hinein und drücke die Tür sanft zu. Geschafft. Ich schließe die Augen. Herrlich, der Geruch nach Zuhause. Das Hundekind führt einen kurzen Veitstanz auf, Nummer 2 kommt gähnend und sich streckend vorbei, um seinen Menschen zu begrüßen und dann wieder umgehend weiterzuschlafen, dann kehrt Ruhe ein.
Nur das vertraute Surren des Kühlschranks und das gleichmäßige Schnarchen des Hundeseniors sind zu hören. Ich verstaue Brille, Kopfhörer, Handtasche, Schlüssel und Jacke. Tief durchatmen, ankommen. Wieder einen Tag im Reizedschungel überstanden. Schnell die Jeans gegen die Kuschelhose austauschen, wieder einen unangenehmen Reiz eliminiert. In der Küche schalte ich den Wasserkocher ein. Welchen Tee soll ich auswählen? Der Tag war geprägt von lauten Menschen, komplexer sozialer Interaktion, hellen Lichtern und Zeitdruck. Kurz darauf beginnt es zu gurgeln und ich entscheide mich für einen selbstgemachten Pfefferminztee. Plätschernd trifft das heiße Wasser auf die Teeblätter. Der Duft von beruhigender Minze steigt mir in die Nase und ich begebe mich ins Wohnzimmer. Dort räkelt sich bereits der Junghund auf dem Sofa, wartend, dass sein Mensch sich dazugesellt. Nichts lieber als das. Während ich seine Brust berühre und das weiche, warme Fell spüre, geht mir der Tag durch den Kopf. Habe ich immer sozial angemessen reagiert? Wo hätte ich heute etwas anders oder besser machen können? Es gibt Momente, da verfluche ich das Asperger. Auch wenn es ein Teil von mir ist, der meine Persönlichkeit ausmacht, leicht ist das nicht immer. Nicht nur für meine Umwelt, die auch unter meinen Einschränkungen zu leiden hat. Geräusche, Gerüche, Lichter, Menschenmengen und Chaos überreizen mein Gehirn so, dass ich Auszeiten benötige. Ich nippe am Tee, genieße das Aroma und währenddessen grunzt neben mir der kleine Sir zufrieden. Ich atme langsam und bewusst. Genieße die Ruhe und das Allein sein nur mit den Tieren. Was gibt es Beruhigenderes? Lediglich das entspannte Schnauben eines Pferdes, das seelenruhig Heu mampft.
Das Smartphone ist im Vorzimmer geblieben, die nächste Stunde gehört nicht der Außenwelt. Stattdessen greife ich zu dem Thriller, der aufgeschlagen auf mich wartet und tauche in die auch nicht so heile Welt des Protagonisten ein.
Einige Kapitel und zwei Morde später hat der Jungspund es sich mit einem tiefen Seufzer auf meinem Bauch bequem gemacht. Ich kraule das krausige Nackenfell, spüre das gleichmäßige Atmen, den kräftigen Herzschlag und fühle mich endlich angekommen und möchte auch nicht mehr „normal“ sein.
© Stephanie Hembach 2019-12-04