von Lena Nausch
“Ich habe mir den Verlauf noch einmal angesehen und befürchte, dass sich Ihr Lungenkrebs in einem Stadium befindet, indem er nicht mehr geheilt werden kann”, teilte Doktor Jewylls mir mit und schien sich beim Überbringen der Nachrichten alles andere als wohl zu fühlen.
Mit dem langsamen Blinzeln kam die Realisation des Urteils. Ich lehnte mich im Sessel zurück und holte eine Zigarettenpackung aus meiner Manteltasche, ehe ich mir eine anzündete. Marlboro Red – mein Lebensgefährte seit ich denken konnte. Der heiße Qualm hatte mir zwar noch nie geschmeckt, aber im Laufe der Jahre war er essenzieller Teil einer Routine geworden, die mir Trost gespendet hatte. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich ein noch kürzeres Leben gehabt, als ich es ohnehin schon hatte. In einem tiefen Zug stieß ich den Rauch wieder aus. Ein Hoch auf meinen verdammten Lungenkrebs.
Ich wusste, dass es verboten war, im Arztzimmer zu rauchen, aber das war mir egal. Gerade war mir alles so gleichgültig und ich hatte konnte mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so leicht gefühlt hatte. Es hatte etwas Befreiendes an sich zu wissen, dass ich nicht mehr lange warten musste, bis mich der Tod endlich holte.
Doktor Jewylls missbilligend seine Augen. “Ihr Verhalten ist kontraproduktiv. In Ihrem Stadium sollten Sie vieles machen, Rauchen ist jedoch kein Punkt auf dieser Liste.”
Ich zuckte träge mit einer Schulter. “Was soll’s”, meinte ich nur. “Ich habe mein Leben lang geraucht und ich werde nicht damit aufhören. Wenn ich schon zugrunde gehe, dann aus einer bewussten Entscheidung heraus und nicht, weil ich keine andere Wahl gehabt habe.”
“Sie haben eine Wahl gehabt”, erinnerte mich Jewylls leise, der seit Jahren mitangesehen hatte, wie mein Zigarettenkonsum stetig zugenommen hatte. Das Bedauern in seiner Stimme kam einzig und allein daher, dass er in meinem Verhalten sein Versagen als Arzt sah und nicht daher, weil ich tatsächlich sterben würde. Niemand würde darum trauern, wenn ich meine letzte Zigarette rauchte. Ich war neben dem Treibhauseffekt wahrscheinlich der zweite Grund für die Abgase, die dabei waren, den Planeten Erde hinzurichten.
“Und ich habe mich hierfür entschieden”, sagte ich ruhig und zeigte ihm die Zigarette, die ich zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt hatte, allzeit bereit, einen Zug zu nehmen. Stattdessen stand ich auf. “Weil Rauchen das einzige ist, das mir in meinem verkommenen Leben Erfüllung schenken kann.” Ich beugte mich über den Tisch, senkte meine Stimme zu einem Flüstern. “Angst vor dem Tod zu haben hält diesen nicht davon ab, mich holen zu kommen. Aber es hält mich davon ab zu leben. Ich will und werde nicht sterben, bevor ich Tod bin, Doktor.“
© Lena Nausch 2022-07-10