Wolfgang Mayer König
Als mein derzeit fünfzehnjähriger Sohn vier Jahre alt war, hat sich ein Ereignis zugetragen, das unvergessen bleibt. Er lag schon in seinem Bett und betete, ohne dass er dazu verhalten wurde, sein tägliches Abendgebet. Er führte dabei stets lockere Gespräche mit dem Himmelvater und der Himmelmutter von unterschiedlicher Dauer. Er erzählte ihnen von seinem Tag, seinen Spielen, den Freunden, ja sogar davon, was es zu Essen gab. Er lachte dabei, unterbrach sich manchmal selbst, um Wichtigeres vorzuziehen, das ihm plötzlich einfiel, erklärte einiges, manchmal nur oberflächlich, manchmal genauer. Jedenfalls hatte er dabei seine kleinen Hände gefaltet, entfernte jedoch manchmal die eine Handfläche von der anderen, um nebenbei spielerisch am Polster oder an der Schlafdecke zu zupfen. Dabei blieb die andere Hand gehoben, zum Zeichen, dass das Gebet ununterbrochen fortdauere. Irgendwann während seines Zwiegesprächs mit den Adressaten seines Gebetes kam, entweder plötzlich mittendrin, oder spätestens am Schluß, der sichtlich inbrünstig vorgetragene Wunsch, der liebe Gott und die Himmelmutter mögen doch den Papa und die Mama beschützen, was sie ihm wirklich versprechen müssten. Am beschriebenen Abend erfolgte diese vorgetragene Bitte etwa in der Hälfte des frei extemporierten Kindergebets. Es waren, das kann ich beschwören, alle Lichter im Haus abgedreht, nur die schwache, mit einem Lampenschirm abgedunkelte Nachtlampe neben dem Bett war eingeschaltet. Im selben Augenblick, als das Kind wieder seine Bitte zum Schutz der Eltern auszusprechen begann, gingen im ganzen Haus sämtliche Lichtquellen an. Sogar in den Badezimmern und Toiletten, der Garage, und allen Wohnräumen. Es war außer dem Kind und mir niemand im Haus. Niemand hätte in der Sekunde alle Lichtquellen auf einmal einschalten können. Das Haus war von oben bis unten hell erleuchtet. Das Kind nahm dieses Phänomen völlig unbeeindruckt auf, und ließ sich dadurch mit keiner einzigen Mine oder Geste in seinem Gebetsgespräch unterbrechen, und führte es, davon völlig unbeeindruckt, mit aller Lockerheit, Heiterkeit und auch Inbrunst zu Ende. In dem Augenblick als das Kind sein Beten beendete, erlosch das Licht im ganzen Haus wieder von selbst, mit Ausnahme der kleinen Nachttischlampe. Seelig schlief das Kind ein. Ich konnte freilich nicht so schnell einschlafen, fand und finde bis heute keine Erklärung dafür.
© Wolfgang Mayer König 2020-06-11