Ulrike (1)

Günther Stark

von Günther Stark

Story

Mit Goethe, erfährt Harry 1824, ist es kein Haarbreit besser. Sieh dir nur mal die Marienbader Elegie an!

Sommers 1821 reist der fast 72-jährige Dichterfürst, dem fünf Jahre zuvor seine geliebte Frau Christiane weggestorben – „Du versuchst, o Sonne, vergebens, / Durch die düstren Wolken zu scheinen! / Der ganze Gewinn meines Lebens / Ist, ihren Verlust zu beweinen“ –, zu einem Kuraufenthalt ins böhmische Marienbad. Dort trifft er auf Ulrike von Levetzow, gerade mal siebzehnjährig, die hier mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern den Sommer verbringt. Das Goethe-Denkmal auf dem Platz vor dem Museum, dem sogenannten ‚Goetheplatz‘, steht derzeit noch nicht. In dem 72-Jährigen entbrennt eine große Leidenschaft zu der um 54 Jahre Jüngeren.

Ein 72-jähriger Greis und eine 17-Jährige, das muss man erst einmal auf der Zunge zergehen lassen! “Dem Genie sind Dinge erlaubt, die den gewöhnlichen Sündern verboten sind“: Von Liebe geblendet, versteigt er sich nach wiederholter Begegnung zwei Sommer später, 1823 – da ist er 74, sie 19 –, zu dem schier Unausdenklichen: Mithilfe seines Freunds und Kupplers, des Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar, hält er schriftlich bei ihrer Mutter, Amalie von Levetzow, um Ulrikes Hand an. Carl August unterstützt den Antrag, indem er der Familie ein sorgenfreies Leben an seinem Hof verspricht. „Kein Missbilligen, kein Schelten macht die Liebe tadelhaft“, rechtfertigt der Dichter seinen Antrag. 1823 feiert er mit Ulrike im Schwarzenberg-Lusthaus seinen 74sten. Ein Bild davon hängt auf der Burg Loket. Umso erschütternder ist für den alten Roué Ulrikes höflicher Dispens: Das Fräulein habe noch gar keine Lust auf Heirat, heißt es diplomatisch. Diesmal versagt Mephisto.

“Ein Held kann dadurch zugrunde gehen. Aber auch nur ein Held. Der lieben Mittelmäßigkeit droht hier, wie überall, keine Gefahr!” Im Gegenteil, die Schlappe des Verliebten gibt seiner Schaffenskraft einen neuen Kick. Schon in der Kutsche nach der Abfahrt aus Marienbad setzt er seinem entsagungsvollen Erlebnis ein lyrisches Denkmal: das Klagelied Marienbader Elegie, laut Autor „Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustands“. Dieser Zustand ist zugleich sein leidenschaftlich letzter und besiegelt seinen Abschied von der Liebe überhaupt. Harry kommen unaufhaltsam die Tränen.

Hätte sich der Alte bei Ulrike vielleicht noch etwas mehr ins Zeug legen sollen? Sonderbar! Sie verehren ihn als einen den größten Dichter der Menschheitsgeschichte und begnadeten Liebling der Götter, – aber wenn er ihre eigene Liebe will, sind sie plötzlich ganz nüchtern und unliterarisch!

Später in ihren kurzen Erinnerungen an Goethe meint Ulrike, sie habe „gar keine Lust zu heiraten“ gehabt, und tatsächlich bleibt sie ihr Lebtag lang ledig. Kaltes Blut? Verlorene Liebesmüh? Wenn sie schon gar nicht heiratet, hätte sie doch geradeso gut auch den Alten nehmen können! Sie hätte ihm bestimmt keinen kleinen Gefallen getan.

© Günther Stark 2021-03-07

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