von Ina Appeltauer
Es gab eine Art von Liebe, die kannte sie noch nicht. Sie kannte nur das GefĂĽhl der Sehnsucht, das Warten, das Hoffen. Sie kannte das Vermissen. Sie kannte die Liebe selbst. Aber die Person, die sie vermissen sollte, kannte sie noch nicht.
Bis zu diesem Tag auf der Lichtung. Da lernte sie sie kennen. Plötzlich saß die ihr gegenüber, die Hoffnung – mit der Sonne in den Augen und dem Herz auf den Lippen. Das helle Licht tat ihr in den Augen weh, aber sie riss sie trotzdem weit auf um zu sehen. Sie zu sehen. Sie sprach und fühlte sich gehört. Sie war und fühlte sich gesehen. Es wurde über die Vergangenheit und die Zukunft gesprochen. Über lustige Themen und Ernste. Über alles und nichts. Über das Herz. Nur über eines wurde nicht gesprochen: die Gegenwart. Weil nicht ausgesprochen werden musste, was sie beide fühlten. Weil sie sich wohlfühlten.
Es wurde erzählt von vergangenem Schmerz und von Zwickmühlen. “Und dann sitze ich dort in meinem Palast, der gleichzeitig mein Gefängnis ist”, sage sie und sah weg. Sie war wieder so dramatisch. Menschen mochten es nicht, wenn Dinge dramatisch waren, “tut mir leid – das ist vermutlich zu dramatisch”. Sie sah immer noch weg. Wollte ihn nicht sehen müssen, den du-versinkst-doch-nur-im-Selbstmitleid-Blick.
“Nein überhaupt nicht, ich mag Drama.”
Verwundert hob sie den Kopf und sah ein freundliches Lächeln aus tiefen, wunderschönen braunen Augen. Sie meinte es ernst, es schien sie wirklich nicht zu stören. Und da fühlte sie sich wohl. Sicher. Beschützt.
Später auf der Klippe erzählte sie von einer Nacht an einem Lagerfeuer, die ihr unendlich viel bedeutete. Und sie erzählte vom Mond und der Sonne.
“Die Sonne sieht alles, was wir unter Tags tun, er sieht, was wir nach außen hin sind und weiß, wohin wir gehen, aber der Mond – sie weiß, was wir fühlen. Die Sonne mag mich kennen, aber der Mond kennt mein Herz.”
“Wow das ist wirklich schön, du solltest das aufschreiben.”
“Ich weiß nicht, das sind nur so kleine Gedanken, die mir durch den Kopf gehen.”
Und da war es fĂĽr einen Moment still. Wieder dieser Blick. Ein angenehmer Schauer rannte ihr ĂĽber den RĂĽcken. Sie wollte nicht gehen mĂĽssen. Nie wieder. Der Moment war perfekt. Und sie schrieb es auf.
Zuhause saß sie dann auf ihrem Bett und hielt einen Moment inne. Sie wünschte sich ihre Gegenwart zurück. Ihren Blick. Sie hätte so gerne noch so viel mehr gesagt. Wäre gerne so viel näher gewesen. Sie wollte nicht warten müssen, bis sie sich wiedersahen. Ihr Herz war erfüllt von Liebe.
Da verstand sie: Sie liebte die Liebe auf eine Weise. Und vielleicht auch sie ein bisschen.
© Ina Appeltauer 2021-03-23