Unbestimmte Angst

Marie Kirchner

von Marie Kirchner

Story

Früher war es einfach so zu sagen, wovor ich Angst hatte. Wenn du sieben Jahre alt bist, kannst du deine Ängste mit deinen Fingern aufzählen, aber wenn du älter wirst, realisierst du nicht mal die Hälfte von den Ängsten, die du hast, weil sie unendlich erscheinen. Von dir wird erwartet, dass du stark bist, aber unsere eigenen Definitionen von Stärke sind falsch. Heute habe ich Angst vor allem. Und gestern hatte ich Angst, das zuzugeben. Und vorgestern hatte ich Angst, es überhaupt einmal wahrzuhaben und zu realisieren. Also ja, ich bin stark, weil heute meine Ängste mir gehören. Damals konnte man die Ängste an den Fingern abzählen, es waren die Geister in den Fluren, die Monster unter dem Bett oder wie es auch heute noch ist, die Spinnen, die überall herumkriechen. Es war die Angst vor der Dunkelheit oder die Angst, dass man die Eltern verliert. Es waren Ängste, welche einen Namen hatten. Heute ist es etwas komplizierter. Die Ängste sind nicht sichtbar aber stets präsent. Sie schleichen sich in die Tagträume und zerren an den Nerven. Ich bin zwar kein Kind mehr aber ich habe trotzdem Angst. Es ist die Angst davor alles zu verlieren, die Angst nicht genug zu sein. Die Angst davor mich selbst zu verlieren. Ich habe Angst davor, rauszugehen und dafür bewertet zu werden wie ich bin, wie ich aussehe und wie ich mich verhalte. Ich fürchte mich davor, zu wenig zu fühlen und zu viel zu fühlen. Ich habe Angst davor, dass ich in falschen Entscheidungen und Fehlern in der Vergangenheit untergehe. Die Angst, dass einem die Depressionen übermannen. Die Angst vor der Dunkelheit im Kopf und die Angst davor nicht mehr richtig schlafen zu können. Es sind Ängste, welche unbestimmt sind und dich wie einen Schatten begleiten. Ich habe Angst vor dem Alleinsein und die Angst vor den eigenen Gedanken. Denn diese sind unkontrollierbar. Es sind Verlustängste und Ängste davor die Menschen, die man liebt zu enttäuschen.

Die Angst vor dem Ungewissen und die Angst vor der Zukunft. Die Angst vor der Vergangenheit, denn man möchte nicht von ihr eingeholt werden. Die Angst es nicht zu schaffen und all das zu bewältigen. Die Angst, dass man das Leben verpasst, während man sich in die Sorgen eintaucht. Und so tief taucht bis Atlantis oder zu einer anderen versunkenen Stadt, wo man vielleicht eines Tages sich versucht selbst zu finden. Die Angst, dass man sich nie selbst findet und niemals herausfindet wer man eigentlich ist und was der Plan war auf dieser Welt zu sein.

Es sind Ängste vor den eigenen Gedanken und Gefühlen. Die Angst nie richtig gelebt zu haben. Die Angst niemals mit der Angst klarzukommen. Die Angst vor dem Altwerden und die Angst alleine zu sterben eines Tages. Die Angst sich nur auf das Negative zu fokussieren und in dieser Spirale stecken zu bleiben und sich nur auf den Schmerz fokussiert.

All die Ängste begleiten einen Tag für Tag und Nacht für Nacht. Sie halten einen ab davon zu essen und zu schlafen. Und heute habe ich trotzdem immer noch Angst vor der Dunkelheit, vor Spinnen und Monstern.

© Marie Kirchner 2023-11-21

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll