Und das Schwein geht. Eine Weihnachtsstory

Susanna Zeller

von Susanna Zeller

Story

Auch in der Wiener Stumpergasse der frühen 1960iger Jahre ist die Adventszeit angekommen. Die kleine Ditha versteckt sich leise kichernd mit den Cousinen hinter dem schweren, grünen Vorhang, der das Schlafzimmer von Onkel und Tante vom Wohnzimmer trennt. Die Kinder sind aufgeregt, denn bald starten sie mit dem vorweihnachtlichen Unterhaltungsprogramm, das sie für die Erwachsenen einstudiert haben.

„Wie schön wär´s, wenn jetzt auch die Mutti da wäre“, denkt sich Ditha. Aber die lebt mit der Familie im Waldviertel, am Bauernhof, da, wo auch das Zuhause des kleinen Mädchens ist. Ein Jahr wohnt Ditha nun schon in Wien, geht hier zur Schule, lebt bei den Krischkes. Tante Herma hat sie unter ihre Fittiche genommen. Eigene Kinder hat Muttis älteste Schwester nicht, und wird es nach ihrer Vorstellung laufen, wird Ditha wohl einmal das Feinkostgeschäft übernehmen, das sie mit dem Steffi, ihrem Mann führt. Die Kleine verdrängt ihr aufkommendes Heimweh, sagt im Geist noch einmal das Gedicht auf, das sie eifrig geübt und eingelernt hat und tritt vor den Vorhang.

„Vom Christkind“, beginnt sie mit zarter Stimme.

„Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen,

es kam aus dem Wald, das Mützchen voll Schnee,

mit gefrorenem Näschen“.

Und während sie diese Worte spricht, fühlt sie sich selbst nachhause versetzt. In den Heimatwald, durch die Winterlandschaft stapfend. Plötzlich wird die Sehnsucht nach dem Elternhaus und nach der Mutti wieder riesengroß. Ihr fällt ein, dass gerade kleine Ferkelchen geboren wurden, und sie sieht sich im Geiste dort sitzen, in der „Saustub´n“, da wo die Schweine ihre Unterkunft haben. Sie kann beinahe hören, wie sich die entzückenden, rosafarbenen Schweinebabies quiekend an die Zitzen der Mama drängen. Sie will heim. Aber das dauert noch ein paar Tage.

Ihre Gedanken kehren wieder zurück – in das Wohnzimmer des Atriumhauses, ihr Zuhause auf die Zeit zwischen der Zeit.

„Die kleinen Hände taten ihm weh,

denn es trug einen Sack, der war gar schwer“,

trägt sie das Gedicht weiter vor.

Und dann: Filmriss. Phantasie und Gegenwart vermischen sich, der Text ist weg, vor ihren Augen spielen sich wieder Szenen ab, die nur sie selbst sehen kann. Die Schweinderl, die Saustub´n, die Infrarotlampe, unter der die Ferkel im wohlig Warmen liegen.

„Und das Schwein geht und geht“, sagt sie.

Onkel und Tanten brechen in Gelächter aus, bis ihnen die Tränen kommen. Da wird ihr selbst klar, dass sie laut ausgesprochen hat, was sie geträumt hat. Und sie muss selbst lachen. Sie kommt nicht mehr dazu, das Gedicht zu Ende zu sprechen, das geht unter in Heiterkeit und munterem Geplauder.

„Und das Schwein geht und geht.“

Dieser Satz hat sich generationenübergreifend in die Familiengeschichte geschrieben. Ist irgendjemand im Gespräch der Faden verloren gegangen und war nicht mehr greifbar, dann hieß es ganz oft: „Und das Schwein geht und geht.“ Und das hat auch noch viele, viele Jahre später echte Heiterkeitsausbrüche ausgelöst. Danke, Mama

© Susanna Zeller 2021-12-11

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