Und die Biene stach.

Annika Neuhaus

von Annika Neuhaus

Story

“Ich darf heute auf die Schaukel!” “Nein, ich bin dran!“ Es war ein herrlicher Sommertag und meine Sandkastenfreundin und ich fanden, dies sei der perfekte Zeitpunkt, um zu schaukeln. Wir wohnten in einem kleinen Hof und unser Nachbar hatte in seinem Garten ein Schaukelgestell stehen. Nun mĂŒsst ihr wissen, dass es eine gute Schaukel gab – mit der konnte man hoch hinaus – und eine doofe Schaukel. Bei der doofen Schaukel musste man sich richtig anstrengen und man musste aufpassen, dass man sich nicht einzwickte. Wir beide waren in einem Alter, indem nichts wichtiger erscheint, als auf der richtigen Schaukel Platz zu nehmen. Und daher gab ich alles!

Ich schubste meine Freundin aus dem Weg und rannte. Ronja strauchelte und fiel beinahe und sie hĂ€tte mir leid getan, wenn ich nicht zu sehr mit gewinnen beschĂ€ftigt gewesen wĂ€re. Ronja war jedoch zĂ€h. Sie fing sich und lief mir hinterher. Kurz vor der Schaukel hatte sie mich eingeholt. Wir prallten gegeneinander. Sie schubste mich und ich zog an ihren Haaren. Es war ein erbittertes Gerangel. Nach kurzer Zeit war jedoch klar, dass ich körperlich ĂŒberlegen war. Ich nahm triumphierend auf der Schaukel Platz. Ich schwang hoch, immer höher, jauchzte, streifte beinahe mit den FĂŒĂŸen die Ă€ußersten Zweige vom Apfelbaum. Es summte und brummte um den alten, knorrigen Baum. Er stand in voller BlĂŒte und ein Bienenvolk hatte sich dazu entschlossen, ihn zu ihrem Zuhause zu machen. Und das wurde mir zum VerhĂ€ngnis.

Die Bienen waren gar nicht begeistert von dem kleinen MĂ€dchen, das beinahe mit ihrem Fuß die Äste ihres Zuhauses abbrach. Daher schickten sie ihre Kriegerin los, die mich prompt in die Wange stach. Aua. Ich bremste so gut es ging, sprang von der Schaukel und rannte heulend nach Hause. Mama wĂŒsste, was zu tun war. Im Laufen nahm ich war, wie Ronja hĂ€misch grinsend auf der guten Schaukel Platz nahm. Ich war hochmĂŒtig gewesen und nun war ich gefallen.

Mama zog sogleich den Stachel aus meiner Wange und schnitt mir eine Zwiebel auf. Ich sollte die HĂ€lfte auf meinen Stich drĂŒcken. Geknickt nahm ich auf den steinernen Stufen vor unserem Haus Platz. Das Leben war ungerecht. Jetzt hatte ich einen Stich und Ronja hatte die gute Schaukel erobert.

Doch nur wenige Augenblicke spÀter, rannte ein blonder Wirbelwind, ebenfalls heulend, an mir vorbei. Ronja verschwand in ihrem Haus und ich ahnte schon, was passiert war. Ein paar Minuten vergingen, bis eine schniefende Ronja auf den Stufen neben mir Platz nahm. In der Hand hielt sie eine halbe Zwiebel, die sie auf ihre Wange presste. Die Bienen hatten uns beide erwischt.

An diesem Tag lernten wir, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Und weil wir nun beide verletzt waren und “Zwillingsstiche” hatten, beschlossen wir uns auch wieder zu vertragen. In diesem Sommer war uns beiden die Lust aufs Schaukeln vergangen. Aber das machte nichts. Es gab genug Unsinn, den wir noch anstellen konnten.

© Annika Neuhaus 2022-03-05

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