von Frau Irma
Durch den Schnee rennen. Bis die Lunge voll ist mit kalter Luft und das Atmen schwerfällt. Nur das Lachen ist leicht. Das hast du mir beigebracht: einfach losrennen. Den Moment nicht mit Gedanken töten, sondern mit dem Herzen leben. Ich muss an dich denken. An uns. An diese etwas undurchsichtige Seifenblase, in der wir gelebt haben. Du warst nicht der, den ich mir immer vorgestellt habe. Du warst der, der aus dem Nichts auftauchte und neue Vorstellungen formte. Der mir geduldig beim Vertrauen zuschaute, mit ein bisschen Wärme ganze Feuer entfachte.
Jetzt bist du weg.
Ein anderer hält meine Hand.
Ganz fest. Ganz warm.
Bis ich anfange, zu rennen. Den Moment zu leben. Und er läuft mit mir. Und er lacht und strahlt mich an. Das ist komisch. Dank dir kann ich mit ihm glücklich sein. Weil ich durch dich so viel über mich gelernt habe. Was ich will, was ich nicht will, wer ich bin, wer ich sein kann.
Ich teile mit ihm die Leichtigkeit, die du mir geschenkt hast. Du hast alte Wunden geheilt. Mich wieder ganz gemacht. Ich mochte deine kindliche Art, die Welt anzunehmen wie sie ist.
Sie nicht zu beurteilen. Nichts zu verurteilen.
Es war Liebe, nicht wahr? Und trotzdem wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Dass bei den tausend Gemeinsamkeiten, die uns verbunden haben, es eine gab, die uns trennte. Ich konnte sie nicht benennen. Ich konnte sie nur manchmal spüren.
Ich frage mich, ob ich nicht selbst das Misstrauen war, das uns auseinander brachte.
Mit ihm ist alles anders. Er ist anders als du.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemanden so lieben könnte. Er gehört zu mir. Er wird mich nicht enttäuschen. Nicht so wie du.
Das hast du nicht mit Absicht gemacht. Wie könntest du. Du hast mich geliebt, das weiß ich. Aber dein Herz war ein Kind. Es wollte immer alles haben. Das Leben war ein Spielplatz für dich. Du bist durch die Welt getollt, hast überall Freunde gefunden, wolltest immer alles sehen. Mehr sehen. Nichts verpassen.
Ich war ein Stück Zuhause für dich, du warst ein Stück Abenteuer für mich. Aber wir haben uns irgendwann verloren. Verpasst. Vergessen.
Ich frage mich, wo du gerade bist, wen du gerade küsst. Mit wem du aus bunten Wolken laut die Zukunft baust.
Es ist so viel passiert in den letzten drei Jahren.
In den drei Jahren, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. In den drei Jahren, seit er in mein Leben getreten ist.
Ich sollte dir davon erzählen.
Ich werde ihm von dir erzählen. Irgendwann.
Das bin ich ihm schuldig.
Schneeflocken verfangen sich in meinen Wimpern. Sie schmelzen erst, als ich ihn liebevoll auf die Wange küsse.
Er lächelt.
Er sieht mich an.
Er sieht aus wie du.
Kein Wunder: er hat deine Augen.
Die Augen seines Vaters.
© Frau Irma 2024-02-14