Und Ingeborg hing neben der Spüle – Sommer II

AlexanderWolf

von AlexanderWolf

Story

Die ersten Tropfen Erleichterung, die auf der Kopfseite des Bahnhofs fielen. Die brachiale Hitze zuvor: Die Menschen auf dem inneren Geländer der Hackerbrücke, die der stickigen Stadt den Rücken kehrten. Die drückende Luftfeuchtigkeit im Kosmos. Meine erste halbe Stunde an der Bar. Jede Geschichte hat einen Anfang. Es ist mehr als naiv anzunehmen: Auf eine vorgesehene Art und Weise läuft es ab, von Natur aus, so und nicht anders. Unsere Geschichte ist die von Sommer, Herbst und Winter. Es existieren Dutzende Varianten, diese zu erzählen. Im Kern ähneln sie einem Ei dem anderen.

Meine Version beginnt an jenem Tag. Sie beginnt in diesem ortstypischen Garten mit dem bürstenkurz geschorenen Gras, in der allumfassenden bayrischen Feuchtfröhlichkeit. Sie nimmt einen Anfang ohne dein Zutun, ohne deine Anwesenheit, einzig dadurch, dass ich mich im Nachhinein dazu entschied, sie genau an diesem Punkt einsetzen zu lassen. Ich stelle mir vor: Die Wolken über dem Grillfest hätten sich ungewöhnlich lang zusammen gezogen und die Bierbankbewohner auf die Folter gespannt. Der Regen hätte untypisch ausführlich angedauert. Ich wäre geblieben bis zu dem Punkt an dem, die Gewitterdunkelheit und die abendliche Dunkelheit nicht zu unterscheiden sind.

In meiner Erinnerung dröhnen aus gewaltigen Lautsprechern Musik aus Zeiten vor der massenhaften Rückkehr des deutschen Schlagers. Und trotzdem lief da eine Auswahl in einem abgeschlossenen Areal(leere Bierkisten als Begrenzung)ohne Wertschätzung mit dem Versuch, nicht den Banausen zu offenbaren. Meist dudelten diese Lieder auf Radiosendern, die den optimalen Mix aus Neuem und Oldies versprachen.

Die grauen Wolken hatten fast schlagartig die Umgebung unwetternächtlich verdeckt. Ich hatte es als Zeichen genommen, zu verschwinden. Am Ende des Gartens hatte ein halb betrunkenes Dreiergestirn mit Bryan Adams zu „Summer of 69“ um die Wette geschrien. Im Wohnzimmer des Hauses hatte sich ein Haufen Ausdrucksloser vor dem Fernseher versammelt. Im Zweiten lief ein Fußballspiel. Ich erhaschte einen kurzen Blick: Jeder Spieler trottete, ohne Motivation über das dunkele Grün. Der Kommentator legte seine regelmäßigen Pausen ein, bevor er eine auffallend langsame Schilderung des vorangegangenen Fouls nachlegte. Dazwischen hörte man das Stadion schweigen. Das Spiel schien von geringer Bedeutung zu sein. Wie konnte es auch anders, im Juli. Der Monat der Bedeutungslosen. Und ohne Bedeutung ist jede Sache nur halb so aufregend. Trotzdem beschimpften die Ausdruckslosen den Schiedsrichter, als würde deren Existenz auf dem Spiel stehen. Ich verabschiede mich hastig bei allen, die ich kannte und warf einen letzten Blick in den Garten. Einen Unterschied machte es kaum, dass ich fehlte. Irgendwer klatschte im falschen Takt zu „Hells Bells“. Die Ausdruckslosen reagierten mit starren Augen auf das Spiel als ich mit einem kurzen Winken an Ihnen vorbei das Haus verließ.

© AlexanderWolf 2021-04-07

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