Und jetzt knallt’s!

Eva-Maria Fontaine

von Eva-Maria Fontaine

Story
1957 – 2025

Mein Vater war lange Zeit ernst und verschlossen uns Kindern gegenüber. Selten erzählte er von seiner Kindheit. Vielleicht deshalb erinnere ich mich besonders gerne an diese eine Geschichte: Durch den Tod meines Großvaters früh Kriegswaise geworden, setzte er alles daran, seine Schwester und seine Mutter zu unterstützen, damit alle drei in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und auch danach über die Runden kamen. So bediente er nach Schulschluss die Kundschaft im Lebensmittelladen meiner Großmutter und belieferte diese anschließend mit seinem Fahrrad. In der Pubertät angekommen, entschloss er sich, etwas mehr Spaß im Leben zu haben. Gelegenheiten boten sich leider wenige, stand er doch unter der strengen Herrschaft seiner Mutter Lina, alleinerziehende Witwe, die es immerhin geschafft hatte, als Jungunternehmerin für das Wohl ihres Nachwuchses zu sorgen. Wie gesagt meinen Vater stach irgendwann der Hafer und er überlegte sich, wie er, das wohlbehütete Muttersöhnchen, zur respektierten, angesehenen und vielleicht sogar gefürchteten Persönlichkeit aufsteigen konnte. Dazu hegte er einen Plan aus: Grundbedingung für die Umsetzung war, dass sich meine Großmutter nicht im Laden aufhielt und er sicher sein konnte, dass sie nicht urplötzlich hereinspazierte. Da Mittwoch und Freitag fürs Putzen und Waschen reserviert waren, hatte er an diesen Tagen freie Hand. Zu jener Zeit erledigten die eigenen Kinder noch kleinere Einkäufe für die Mutter. Mein Vater, mittlerweile Schüler des örtlichen Gymnasiums in Bitburg, musste immer öfter einen Klassenkameraden, oder noch schlimmer, einen Tertianer oder Primaner bedienen. Um sich aus seiner beschämenden Lage zu befreien, ersparte er sich bei ihnen kurzerhand das kundenfreundliche ‚Guten Tag, wie kann ich helfen?‘ und ersetzte es durch ein knappes, kesses und betont hochnäsig klingendes ‚Und?‘ Schließlich war er ja nicht irgendein gewöhnlicher Sextaner, nein er war die rechte Hand der Geschäftsleitung, buchhalterische und logistische Aufgaben waren ihm anvertraut und in dieser Position fühlte er sich wie Kronprinz Peter. Es dauerte nicht lange, bis sich die Umsätze im großmütterlichen Laden im Sturzflug nach unten bewegten. Zwar erledigte Frau Simon, Ehefrau des örtlichen Großunternehmers und Besitzer der mittlerweile deutschlandweit bekannten Brauerei immer noch wie üblich ihre Einkäufe am Vormittag, genau wie einige andere angesehene Stammkunden. Doch meine Großmutter wurde stutzig. Sollte ihr Erstgeborener tatsächlich für den Umsatzeinbruch verantwortlich sein? Es dauerte nicht lange, bis sie eines Mittwochs Nachmittags Wäsche, Wäsche sein ließ und sich in den Laden schlich. Sie hörte, wie sich die Ladentür öffnete und wie der junge Peter den Kunden äußerst knapp von oben herab begrüßte. Hatte er den Jungen etwa mit ‚und‘ begrüßt? Sie traute ihren Ohren nicht. Kaum war der Mitschüler aus dem Laden, verpasste sie meinem Vater eine schallende Ohrfeige. Notgedrungen änderte mein Vater sein Verhalten und bediente fortan alle Kunden gleich freundlich. Ich liebte diese Geschichte von meinem fürsorglichen Vater, der uns erst spät seine liebevolle und humorvolle Seite zeigte. ‚Und?‘ denke ich mir heute, ‚frech und aufmüpfig sein kann Spaß machen, auch wenn es danach ganz schön knallt!‘ Das jedenfalls habe ich von meinem Vater gelernt.

© Eva-Maria Fontaine 2025-03-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional