Und manchmal auch die Füße

Woodstock

von Woodstock

Story

Folge 2

Henry hatte einen Job in den Semesterferien und deshalb bestellte er sich auch noch ein Eis. Es war so groß, dass alle anderen Gäste die Köpfe drehten, während der Kellner die Bombe aus Sahne und Früchten durch die Reihen balancierte.

Henry aß es alleine auf. Ich war zu schüchtern, etwas davon zu probieren, was nun wieder Aufschluss über den Grad unserer Nähe gab. Er sollte nicht denken, ich sei verfressen oder sowas.

Die Peperonis lagen mir im Magen. Sowas hatte ich vorher noch nie verzehrt und nun meldeten sie sich in schöner Regelmäßigkeit, auch während der anschließenden U-Bahnfahrt.

Die Fahrt dauerte eine Weile. Ich kam aus einem 100-Seelendorf und hatte das Gefühl in New York gelandet zu sein. Diese Entfernungen, diese vielen Menschen. Wie um Himmels Willen, sollte ich mich hier jemals zurechtfinden?

Von der U-Bahnstation „Oskar-Helene-Heim“ musste man noch eine Weile laufen. Es war schon dunkel, als wir vor dem großen Haus ankamen. Eine Villa in Zehlendorf. Die alte Vermieterin vergab Zimmer an Studenten, meistens männliche, weil die wohl weniger Arbeit machten oder weniger anspruchsvoll waren, keine Ahnung. Dass ich hier für einige Tage auch unterkommen durfte, hatte ich Henry zu verdanken, der sich mit der alten Dame gut verstand.

Sie ließ uns hinein und war zu mir nicht sehr freundlich.

Ich bezog einen Raum, einen Stock tiefer unter Henrys Zimmer. 180 Mark sollte das kosten, wenn man es für den Monat mietete. Ich hatte nur noch 45, abzüglich der Peperonipizza, aber Henry wollte das für mich regeln und einen Monat dürfte ich hier sowieso nicht bleiben, sagte er.

Die Alte verzog sich, hatte aber die Ohren und die Türen unten im Erdgeschoss weiterhin offen. Henrys Zimmer war unterm Dach und winzig klein. Es sah aus, als hätte es Modell gestanden für den „Armen Poeten“ von Spitzweg. Mein Freund erzählte mir, dass die Alte im Winter kaum heizte und er sich vor Kälte oft unter die Bettdecke verkroch, um es auszuhalten.

Ich musste ihm recht geben, denn sie ließ auch das Wasser tagsüber kalt. Während Henry seinem Studentenjob nachging, versuchte ich in dem mir zugewiesenen Zimmer ein wenig Fuß zu fassen, wozu gehörte, dass ich auch mal eine Unterhose im Waschbecken waschen musste.

Die Alte kam ohne zu klopfen ins Badezimmer, fragte mich, was ich hier täte und legte mir nahe, dass ich bald zu verschwinden habe. Frauen machten nur Ärger oder so.

Wenn ich aus dem Fenster sah und den Kopf ganz weit nach rechts drehte, konnte ich das Kino „Outpost“ sehen. Es gehörte den Amis. Die hier Stationierten besuchten es und alles drumherum war amerikanisch. Trottete man zur U-Bahn, kam man am Kaufhaus vorbei, wo vorne ganz groß „Main-Entrance“ stand. Aber nicht für uns. Hier konnten nur Alliierte und ihre Angehörigen kaufen. Daneben ein McDonalds, original amerikanisch und eine Library und überhaupt alles wie in USA. Durch die Straßen fuhr die Militärpolizei, man sah ihnen nach, aber mehr auch nicht.

© Woodstock 2022-01-25