von Woodstock
Folge 3
Und morgens liefen oft Horden der US-Soldaten laut ihren Singsang vor sich her brüllend durch die Zehlendorfer Grünanlagen. Irgendwie waren sie allgegenwärtig und ich fand das gut. Vermittelte es doch so ein internationales Gefühl. Doch Gefühl hin oder her, ich wurde krank. Ich weiß nicht, ob es das Heimweh war, dass mich schon am zweiten, dritten Tag packte oder die Alte, oder diese komische Stadt, die sich mir so unwirtlich zeigte. Ich hatte keinen Job, kein Geld, keinen Ausbildungsplatz, gar nichts. Und ich danke noch heute Henry, der sich kümmerte und nach einem Arzt Ausschau hielt. Eines Tages stand eine Medizinerin aus der Umgebung im kleinen Villenzimmer und schüttelte den Kopf. Einmal wegen der schlechten Luft im Raum und auch wegen der beidseitigen Nierenentzündung. Ich bekam Medikamente und Fieber und immer im Wechsel das eine oder das andere. Irgendwie ging es nicht weg.
Als ich eines Tages mit 39 Grad Körpertemperatur ganz beduselt auf meinem Bett hockte, kam die Vermieterin ins Zimmer und schimpfte mich aus. Ich sollte gefälligst mal an die Luft gehen. Ich tat wie mir befohlen und schleppte mich zur U-Bahn. Dort fuhr ich dann halb in Trance die Strecke zum Wittenbergplatz rauf und runter, denn etwas anderes kannte ich von der Stadt noch nicht. Am Abend legte die Alte Henry nahe, dass ich gehen müsste.
Die Alte lebt schon lange nicht mehr. Und manchmal stehe ich heutzutage vor ihrer Villa mit viel Genugtuung. Das Haus sieht herunter gekommen aus. Nicht mal mehr eine Klingel. Da gähnt nur ein Loch. Das Drumherum eine Müllhalde. Vielleicht keine Erben, wer weiß. Ich sehe sie noch vor mir, wenn ich da stehe und freue mich, ihr entkommen zu sein. Sehen sie mal, Frau Ullmann, ich bin noch da, ich habe es geschafft. Obwohl sie mich herausgeworfen haben aus ihrem kalten Haus.
Henry suchte einen Raum in Wilmersdorf. Dort zogen wir kurz nach meinem glorreichen Anfang in Berlin zu zweit ein. Nebenan schlief die Vermieterin, die sehr dick war. Sie stank, rauchte den ganzen Tag und hockte von morgens bis abends unten vor ihrem Küchenfenster im Morgenmantel, literweise Cola in sich hinein schüttend. Das Zimmer kostete 300 Mark, ein Vermögen, das erst einmal aufgebracht werden musste. Aber wir waren genügsam und aßen eben weniger. Der Fehrbelliner Platz war ganz nah mit seinen roten U-Bahngebäuden wie aus dem Weltall, die ich nicht mochte und das Rathaus Wilmersdorf, das ich auch nicht mochte.
So blieben wir zwei Jahre in diesem Loch. Ich richtete es ein wenig ein und das Schnarchen der von Cola und Zigaretten völlig besoffenen Morgenmantelträgerin nebenan störte dann irgendwann auch nicht mehr.
Manchmal gingen wir zu Fuß ins Madows in einer Seitenstraße vom Kudamm. Eine Disko, die ganz gute Musik machte oder nahmen an der Alliierten Parade teil, die im Sommer auf der Straße des 17. Juni einen Mordskrach veranstaltete. So als ob sie denen da nebenan mal zeigen wollten, wo hier im Westen der Hammer hängt. If I had a hammer oder so.
© Woodstock 2022-01-27