Und samstags Linsensuppe

Stella

von Stella

Story

„Halt! Du hast das Salz vergessen!“

„Wieso?“ fragte meine Mutter und schloss den Deckel.

„Du kochst Kartoffeln ohne Salz?“ fragte ich verblĂŒfft.

„Ja, machst Du Salz dran?“

„Ich fass es nicht! Du kochst Dein Leben lang die Kartoffeln ohne Salz?“

„Ja.“

Dass meine Mutter nicht gerade eine begnadete Köchin war, war mir bekannt. Aber dass sie uns fĂŒnf Kinder seit Jahrzehnten Kartoffeln ohne Salz vorgesetzt hatte, wollte ich einfach nicht glauben. Allerdings wunderte mich augenblicklich nicht mehr, warum ihre Kartoffeln, die sie vorzugsweise sieben Minuten lang im Schnellkochtopf kochte, schon immer nach nichts geschmeckt hatten. FertigpĂŒrree war dagegen schon ein Geschmackshighlight.

„Ein Wunder, dass wir Geschwister nicht alle BratwĂŒrste geworden sind!“ Mit dem Spruch machte ich mich gerne darĂŒber lustig, dass es in der Woche ein um den anderen Tag BratwĂŒrste gab. Dazu Erbsen und Möhren aus der Dose in Mehlschwitze. Oder Kohlrabi oder RĂŒbstiel aus der Gefriertruhe.

Aus der ĂŒberdimensionalen Gefriertruhe versorgten unsere Eltern die siebenköpfige Familie jeweils drei Monate lang mit Lebensmitteln. Danach war wieder ein Großeinkauf im Handelshof fĂ€llig. Meine Eltern kauften dort waschkörbeweise ein: Fleisch, Wurst, KĂ€se, GemĂŒse in GroßhandelspackungsgrĂ¶ĂŸen. Livio gabs zum Beispiel immer im Zehn-Liter-Kanister. Nach dem Ausladen wurde, was ging, portioniert, vakuumiert und eingefroren. Man taute Tag fĂŒr Tag auf und brauchte so nicht einzukaufen. Außer Brot. Dass meine Mutter je zum Metzger oder in den Supermarkt gegangen wĂ€re, kann ich mich nicht erinnern. Milch und Eier holte man vom Bauern.

NatĂŒrlich hatte das seinen Grund. Meine Mutter studierte wĂ€hrend meiner Kindergartenzeit und war danach als Hauptschullehrerin tĂ€tig. Essen und Haushalt machte sie nebenher. Kochen musste schnell gehen. Eintopf mit GrĂŒnkohl oder Wirsing. Oft wurden wir morgens um sechs Uhr schon vom Geruch von Eintopf mit Mettwurst geweckt, den meine Mutter vor dem FrĂŒhstĂŒck fĂŒr mittags vorkochte. Manchmal gab es skurrile Gerichte. Zum Beispiel in heißem Wasser aufgekochte Fleischwurst. Ich kann mich auch an Milchsuppe mit Spiralnudeln erinnern. Oder Brotsuppe mit Pflaumen.

Freitags kochte mein Vater: Nudeln, die er im großen Schwall ĂŒber der SpĂŒle abgoss. Die KĂŒche setzte er dabei regelmĂ€ĂŸig unter Wasser. Die Nudeln aß man mit Curry-Ketchup aus der Ein-Liter-Großpackung. Und samstags gab es Linsensuppe. Das Lieblingsgericht meines Vaters, fĂŒr das die Linsen schon am Vortag im Schnellkochtopf in Wasser eingeweicht wurden.

Erst als meine Mutter begann, Hauswirtschaft zu unterrichten, wurde der Speiseplan etwas abwechslungsreicher. Warum der Rektor ausgerechnet sie dafĂŒr ausgesucht hatte, erklĂ€rte sie mir so: Sie habe mal ein paar Semester Wirtschaftswissenschaften studiert. Die Kollegen meinten, wer etwas von „Wirtschaft“ verstehe, kenne sich wohl auch mit „Hauswirtschaft“ aus. So kann man sich irren.

© Stella 2019-04-11