von Anatolie
Samstag – und wieder ist eine Woche rum! Am Wochenende hab‘ ich Schonfrist. Das Telefon bleibt ruhig, ich muss auch keine Mails auf Benachrichtigungen checken. Bis zum nächsten Montag wieder. Denn dann heißt es erneut: „Allezeit bereit“!
Bis zum Ende der Befristung habe ich die (fast) perfekte Work-Life-Balance genossen. Ich stand im Dienst des Corona Contact Tracings und hatte flexible Arbeitszeiten. An zwei bis drei Tagen pro Woche ging ich für 10 Stunden ins Büro. An den restlichen Tagen hatte ich frei.
Nun aber bin ich ohne Beschäftigung und wieder „Freiwild“ für jene vom Amt, die unter dem Motto „Betreutes Suchen“ sehr beflissen mir den einen oder anderen bescheidenen Job in die Schuhe schieben wollen. Ja, ich habe klar gesagt, was ich mir vorstelle. Teilzeit in Blocktagen wäre schön, und gern auch Dienste bis zum späten Abend. Aber bitte nicht ein Wecker-klingeln schon beim ersten Hahnenschrei! Nicht jeder hat Verständnis dafür, dass ich kein Morgenmensch bin und erst ab 9 Uhr so richtig in Fahrt komme. Wenn mich TÄGLICH dieser Folterknecht von Wecker ganz früh am Morgen aus den Federn peitscht und das auch noch an ALLEN Tagen, krieg‘ ich irgendwann den Drehwurm nicht mehr weg. Dann fühlt es sich TagTÄGLICH so an, als würde meine Gehirnmasse durch eine Art Nudelwalzmaschine gepresst. „Der Arbeitsmarkt muss aber auch das hergeben, was Sie wollen“, hat mich meine „Betreuerin“ freundlicherweise auf das Problem der VERFÜGBARKEIT hingewiesen.
Ja, was gibt der Arbeitsmarkt so her? Teilzeit, ja, das ist möglich. Meist muss man dann an fünf Tagen pro Woche – für nur wenige Stunden im Dienst – mindestens zwei Stunden früher aufstehen, um Frühstück, Morgentoilette und die Frage „Was ziehe ich heute nur an?“ unter einen Hut zu bringen, mitsamt Vorbereitung der Jause für die Pause. Dann der aufwendige Weg mit Auto oder Öffis durch den (Groß)Stadtdschungel zum Arbeitsplatz und am Nachmittag das Ganze wieder retour! Wenn jemand denkt, nach so einem angebrochenen Tag lässt sich hinterher noch viel Gescheites anfangen, der irrt. Komm‘ ich nachmittags dann „derschlagen“ heim, kann ich erst mal meinen versäumten Schlaf nachholen. Und wenn ich Pech hab‘, singt mir zur wohlverdienten Ruhestunde – damit ich später wieder einigermaßen fit bin – Nachbars Quälgeist von Rasenmäher seine sanfte Melodie dazu 🤬
Ich habe eine kaufmännische und eine künstlerische Ausbildung. Aber für letztere gibt es keinen Arbeitsmarkt. Bliebe der Weg in die Selbstständigkeit, um eigenhändig etwas herzustellen und zu vermarkten. Aber wer braucht in Krisenzeiten Dinge, die in Wirklichkeit ja echt niemand BRAUCHT (sprich, wer gibt Geld für sowas aus)? Und – wer braucht eine Teilzeit-Angestellte für irgendwas, aber nur in Blockzeit für etwa drei Tage die Woche?
Es mag sich anhören, als hätte ich ein Luxusproblem. Vielleicht ist’s auch eins. Aber es geht mir auch um das Geschenk von Zeit – von LEBENSZEIT. Macht ihr euch manchmal auch so eure Gedanken dazu?
© Anatolie 2022-10-22