Und wo ist der Old Storyteller Award?

Story

Es gibt wieder einen Young Storyteller Award und wieder nichts für die Alten, aber komischerweise hat sich noch keiner darüber beschwert.

Ich würde mir bei so etwas, und sei es nur als interne Alternative von einer Horde aufmüpfiger Alter, niemals irgendwelche Siegeschancen ausrechnen. Ich würde ja gar nicht teilnehmen dürfen, weil ich mein Pseudonym nicht lüften würde, folglich kein Buch herausbringen könnte und somit ohnehin von vornherein schon draußen wäre.

Ich kenne auch meine persönlichen Grenzen ganz gut, denn es ist hier so, wie es immer war und wie es bei allem ist, was ich anfange. Ich erreiche sehr leicht und rasch ein gewisses, ganz gutes Niveau, das meist um einiges über dem Durchschnitt liegt, aber dann ist der Plafond erreicht und es geht nichts mehr weiter. Ich bin eben nur guter Durchschnitt, vielleicht oft sogar sehr guter Durchschnitt, aber es gibt nie einen Höhenflug, nie einen richtigen Ausreißer nach oben, genauso wenig wie einen tiefen Absturz.

Zudem hätte ich bei Story.one ohnehin keine Chancen, denn ich habe nur einen einzigen Vorteil, um ihn hier in die Waagschale zu werfen, nämlich dass ich eine Frau bin. Frausein ist in mancher Hinsicht heutzutage schon das bessere Schicksal, seit sich die Welt so gegen die alten, weißen Männer verschworen hat. Aber ich bin weiß, ich habe nicht den geringsten Migrationshintergrund, ich habe keine schwere Kindheit gehabt, bin nicht von Männern in irgendeiner Form geschädigt worden, weder als Kind noch später, habe nie schwere Krankheiten, Armut und Entbehrung kennengelernt, kenne keine verheerenden Süchte, habe zudem die falsche politische Einstellung, denn ich bin nicht links und nicht grün genug, ich bin zu leistungsorientiert, zu wenig mitleidig und überhaupt zu wenig emotional, ich bin zu hirnlastig, zu wenig bauchgefühlig, und zu guter Letzt auch noch zu korrekt in Rechtschreibung, Grammatik und Stil, um als kreativ angesehen zu werden. Mit einem Wort, ich hätte nie und nimmer eine Chance, denn auch bei einem Wettbewerb für alte Autoren wäre ich die letzte, die bei der Jury punkten würde.

Es wäre also gar nicht meinetwegen, ich kann mir aber vorstellen, dass auch viele Ältere sich so eine Challenge wünschen würden, um vielleicht noch zu etwas spätem Ruhm zu kommen. Und wenn ich mir die Storys, die ich Tag für Tag hier lese, so ins Gedächtnis rufe, gibt es sehr viele Ältere, die genauso gut schreiben wie die Jungen, aber vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen für den Buchmarkt nicht mehr so interessant sind.

Ältere schreiben sicher anders, haben andere Themen und einen anderen Stil, verwenden oft andere Wörter, aber es ist wohl in der Literatur – oder zumindest in der buchproduzierenden Industrie – genauso wie in der Mode und der Werbung. Alter ist ein Makel, und die Alten lassen sich das alles gefallen. Sie lassen sich immer noch beiseite schieben, obwohl man ständig hört, dass Diversity so gefragt ist. Nur auf dem Buchmarkt ist das offensichtlich nicht so.

© 2022-03-16