Underdog-Mentalität

Luna Winkler

von Luna Winkler

Story

Underdog (englisch für „unterlegener Hund“) bezeichnet einen Benachteiligten oder Schwächeren beziehungsweise jemanden, der einem anderen unterlegen ist.

So viel zur Wikipedia-Begriffsklärung. Ihr fragt euch jetzt sicher, wozu das Ganze. Ganz ehrlich. Das frag ich mich auch.

Ich sitze also da vor meinem leeren Blatt, die wenigen nötigen Stifte längst bereit gelegt, tatsächlich schon, als der lieben Frau Magistra Worte wie „Figuren zeichnen“ und „Studienblatt“ über die Lippen gerutscht sind. Ja, ich will. In den Augen der meisten steht Ungläubigkeit in ihrer besten Form geschrieben, andere lassen den eben zur Hand genommenen Stift demonstrativ auf den weißen Untergrund vor ihnen fallen, drop the pencil sozusagen. Kein Bock, keine Nerven, chronische Unlust im höchsten Grade.

Versteh ich. Kein Stück weit. Anmerken lass’ ich mir meine überschwängliche Begeisterung allerdings wenig, sonst empfange ich nur noch skeptische Blicke a la „was bist du nur für eine.“ Andererseits — interessieren würden mich solche Blicke wohl nicht, selbst, wenn sie mir zugeworfen werden würden. Werden sie nicht. Ich, Randnotiz. Immer gern. Meistens unabsichtlich.

Und da setzt sie ein. Die Underdog-Mentalität, wie ich sie nenne. Neologismus der extra Klasse könnte man sagen. Tu ich nicht. Das widerspricht nämlich dieser Lebenseinstellung ungemein. Und mein Gewissen kriegt allein deswegen die Krise, weil ich es doch tatsächlich gewagt habe, so was Selbstüberzeugtes zu schreiben. Schande über mein Haupt.

Ne ernsthaft. Beispiel.

Ich bin die, die während des Kunstunterrichts still schweigend den Arbeitsauftrag hinnimmt, ihn erledigt, währenddessen andere noch darum feilschen, irgendwie, irgendwo doch eine Lücke zu finden, durch die sie sich hindurchzwängen könnten, um dem Schlund an Anstrengung oder gar so etwas wie Fleiß zu entkommen. Ich bewundere solche Leute. Ich würde durch besagtes Loch gar nicht durchpassen.

Ich werde gerne unterschätzt. Und ja, ich weiß, wie sich das jetzt anhört. Aber das ist Teil meiner Underdog-Logik. Ich werde gerne unterschätzt, weil ich ungern überschätzt werde. Simpel.

Mein Herz ist nicht so der Draufgänger, müsst ihr wissen. Es ist leise, schweigt, weil es weiß, was es kann. Und was nicht. Es sucht keine Bestätigung von Leuten, die es sonst auch nicht interessiert, wie‘s um seine Wenigkeit steht. Ich werde gerne unterschätzt, weil dann der Überraschungseffekt größer ist. Und da sag einer, Selbstunterschätzung hat mit wenig Selbstvertrauen zu tun.

Mittlerweile ist mein Blatt gesäumt von wirren Bleistiftskizzen und Kulikreisen. Mein Blick immernoch starr auf die Strichmännchen vor mir und so bemerke ich nicht, dass SIE sich umdreht. Meine Arbeit beäugt. Über den Rand ihrer Maske lugt.

„Das ist richtig gut.“

Ich sehe auf und zucke mit den Achseln.

„Naja.“

Meine übliche Reaktion. Tatsächlich wurde mir meine Bescheidenheit schon zum Vorwurf gemacht.

Das muss man auch erstmal hinbekommen.

© Luna Winkler 2021-11-09

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