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metaphrasant

von metaphrasant

Story

Einst schrieb ich in ein kleines, schwarzes Buch „Der Rubel rollt nicht, die Welt dreht sich um ihn herum.“

Da sitze ich nun – Jahre später – und der Rubel will nicht mehr rollen. Er kommt ins Stocken und scheint sich darnieder zu legen; und ich frage mich, auf welche Seite der Münze er fällt und ob diese halbe Wahrheit als die Ganzheit all dessen gelten soll.

Nach zwei Jahren, in denen ich mir kollektive Angst per Stopftrichter eingemästet habe ist mein System nur dahin gekommen, wo ich das Gefühl habe, dass mir drei meiner vier Akkus fehlen. Im bebenden Apell raucht alles ab, dem keine Regeneration gewährt wird oder in allzu wichtigen, treibenden „Eilmeldungen“ ins schöne Leben dort hinten ersäuft wird.

Eilmeldung: „Paul Bocuse ist tot.“ Na da habe ich aber Glück gehabt, das gerade noch mitzukriegen, bevor er von den Toten wiederaufersteht, um nach drei Tagen in den kulinarischen Himmel zu aufzusteigen.

Das erscheint zuweilen wie ein Zaubertrick: Schau auf die flatternde Bewegung der einen Hand, nicht auf die Hand in der nebenher etwas passiert, das dich überraschen wird.

Es fällt mir schwer aufzustehen, wenn sich der moralische Zeigefinger der Person neben mir in meine Rippen bohrt, weil ich erst einmal damit beschäftigt bin, daran zu erschrecken. Selbst wenn ich gerade aufstehen wollte, fällt es mir danach noch schwerer und macht die Akkus leerer.

Nun habe ich die abgerauchten Akkus gefühlt ausgetauscht und es gilt sie zu füllen, oder vor erneuter Tiefenentladung zu bewahren. Es ist Mittag und ich schaue nach draußen. Die Welt ist zeichnet sich in einem wunderbaren Dämmerlicht und es ist Zeit, die Selbsterhaltungssysteme zu schonen. Ich sinke durch Scham und Angst hindurch, lasse Gedanken einfach spielen:

Kein Mensch will Krieg. Die Russen sind böse und die Ukrainer gut. Ich nehme den Menschen ihre ganze Vergangenheit und die Ziele, die sie in die Zukunft ziehen.

Kein Mensch will Krieg. Der Krieg ist vorbei. Die Landkarten werden neu gezeichnet. Werden Menschen durch neues Papier mit neuer Staatsangehörigkeit jetzt böse? Wah, verbrennt alles Papier!

Moment…Ich schaue raus. In sanftem Licht sehe ich die riesige, ausgewachsene Fichte, die wächst, ohne größer zu werden. Daneben das Haus, das ich mir beliebig groß denken kann; und egal, wie groß es ist, es wird ab dem Zeitpunkt seiner Fertigstellung zerfallen, weil es sich nicht selbst erneuern kann. So will es das Universum.

Was trägt die zweite Hand des Zaubernden mit dem moralischen Zeigefinger? Ein Schild, auf dem „Höher, weiter, schneller!“ steht. Sie hebt die Münze kurz an; auf ihrer Rückseite steht: „Was stetig wachsen muss, damit es nicht stirbt, muss sich Raum nehmen. Das ist halt so. Noch überrascht?

“Eilmeldung: Nur das Universum wächst unendlich – und wird bei demselben Inhalt dabei immer leerer.

Schönes Licht draußen, hier drin im Universum.

Bild: Jeremy Bishop (unsplash.com; danke)

© metaphrasant 2022-03-15

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