Unerklärliche Fluten

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story

Sein Hobby: nerviges Nörgeln, seine Leidenschaft: versteckte Boshaftigkeit, seine Vorliebe: grundlose Kritik, sein Sport: schlechte Nachrede. Das Profil eines Engels, der seine Macht nicht in der Spur halten kann, weil hier viel zu wenig Kollegen anwesend sind, die rund um ihn mitarbeiten sollten. Die eine Stunde mit ihm wird durch die stundenweise Abwesenheit des Imperators tagsüber – ohne Ersatz für ihn, durch einen Makler, Architekten und Bauleiter, auf ein durchgehendes Ausmaß erweitert.

Es kündigt sich Urlaub des Imperators an. Sie freut sich jetzt schon darauf, was er mitbringen wird. “Ein weiteres Haus zum Verkaufen? Oder eine rustikale Finca zum Renovieren?“ Es ist zwar eine Billigurlaubsinsel, aber das Meer glitzert blauer und tiefer, die Hügellandschaft ist bewachsen, der Geruch mediterran, der Hafen erstaunlich. Ihr Bildschirmschoner erinnert sie mit dem Bild einer Finca mit rundem Pool, das sich eigenständig über das eigentliche Bürofassadenbild gelegt hat, daran, selbst auch wieder mal dem Strand „Hallo!“ zu sagen.

Trotz der Freude fließen urplötzlich Tränen in Strömen aus ihren Augen und tropfen auf die Tastatur. „Das ist jetzt eher Salzburger Lustschloss mit Wasserspielen.“ lacht sie. „Was ist mit mir?“ Es gehen Dinge vor sich, die Lilly sich nicht erklären kann. Ihr Körper reagiert wohl neuerdings auf Dinge, die sie nicht einmal wahrnimmt. Sie dreht sich weg, greift zu den Zeitungsinseraten, läuft nach oben ins Archiv, um dies unbemerkt zu halten und sich zu fassen.

„Hier kann ich nicht bleiben.“ Alles ist abgeheftet. Das Telefon klingelt an ihrem Platz. Sie hebt im Obergeschoss ab, doch länger lässt es sich nicht vermeiden, sich wieder unter die anderen zu mischen.

Zuvor spricht sie ein strenges Wörtchen mit ihrem Körper, weil der Geist über den Körper herrschen muss, wie sie in der ersten Szene des Komödien-Meisterwerks “Johnny Englisch” mitbekommen hat. Die lustige Filmszene bei den Mönchen in orangen Kutten, die die gleiche Farbe haben, wie die amerikanischer Gefängnisinsassen, hilft dann auch. Sie lacht und paddelt im Gefühlsbad. „Das ist doch lächerlich! 20 Jahre keine Tränen und dann fließt es wie aus Dachrinnen?“

Weder schmerzt der Nacken aufgrund einer Verkühlung, noch drückt eine verrutschte Innensohle auf einen bestimmten, empfindsamen Punkt auf der Fußsohle, was auch bis ins Knochenmark ergreifend sein kann, wie das Treten auf einen Legostein. Als sie die Pläne faltet und diese vorlegt, fließt schon wieder Wasser aus ihren Augen, wie aus einem doppelten Zulauf einer Vogeltränke, worin sich süße, kleine Spatzen in antiken, verschnörkelten Brunnen baden.

„Ich weiß echt nicht, was das soll?“, ärgert sie sich in der Büroküche hinter der ausnahmsweise geschlossenen Tür, über sich selbst. „Wo kommt das alles her? Habt ihr neuerdings einen Gartenschlauch angeschlossen?“ Sie tupft mit dem Geschirrtuch die nassen Augen und Wangen wieder trocken. „Das ist doch verrückt!“

© Daniela Neuwirth 2021-12-21

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