von Judith Steinbach
18. September 2024 10:40
Ich starrte konzentriert in mein Matheheft und tat so, als müsste ich angestrengt überlegen, was die Lösung für diese Aufgabe war, doch in Wirklichkeit war ich mit den Gedanken ganz woanders. Ich kritzelte die Silhouette von zwei Menschen in mein Heft. Es waren ein Junge und ein Mädchen, die fast von einer Klippe fielen. Der Bub hielt sich mit einer Hand am Rande fest, während er mit der anderen Hand, das Mädchen festhielt. Es war eine Szene aus einem Roman, den ich gerade las. Doch wenn man dies nicht wusste, wirkte das Bild neben all den Gleichungen recht seltsam. Mathematik war noch nie meine Stärke gewesen, aber wenn wir uns ehrlich waren, gab ich mir auch nicht gerade viel Mühe. Meine beste Freundin blickte mit gerunzelter Stirn zur Tafel, sie hatte gerade begonnen zu verstehen, wie es funktionierte und war mir damit mal wieder einen Schritt voraus. David und Nikolas schrieben beide brav mit, aber sie redeten nebenbei die ganze Zeit. Daher wusste ich nicht wie viel sie verstanden. Ich konzentrierte mich weiter auf meine Zeichnung und fügte kleine Details zu der Zeichnung hinzu. „W-e-r kann uns sagen, welche Lösungsformel hier anzuwenden ist?“, fragte mein Professor und ich hatte das unangenehme Gefühl, das er mich ansah. Starr blickte ich weiter in mein Heft. „Lia“, sagte mein Professor nun. Ich blickte auf und meinte: „Ja …“ Dann tat ich so als würde ich konzentriert auf die Tafel schauen und kurz nachdenken. „Die kleine, die kleine Lösungsformel, die Kleine“, zischte David neben mir. „Die kleine Lösungsformel“, wiederholte ich laut und der Lehrer nickte zufrieden und wandte sich dann wieder der Tafel zu. Ich lächelte und flüsterte: „Danke!“ „Keine Ursache“, antwortete er. Einen Moment lang schwiegen wir beide wieder und blickten in unsere Hefte, bis er raunte: „L-h-i-a“ „J-a-h“, antwortete ich. „Machst du Sport?“, fragte er nun. Ich schüttelte den Kopf und sagte leise: „Nein“ „spielst du Fußball?“, kam nun die nächste frage und ich nickte. „Echt? In einem Verein?“, kam gleich eine weitere Frage. „Nein“, flüsterte ich. „Schade, in der Schule?“, kam es sofort zurück. „Ja auch und zu Hause mit meinem Nachbarn und meinen Brüdern“, antwortete ich. Er nickte und fragte: „Kann man mich rekrutieren fürs Fußball?“ Ich antwortete nicht und er meinte: „Nein wirklich, ich mein es ernst, du kannst in unserer Klassen Mannschaft mitspielen“ „Naja“, murmelte ich, „eher nicht.“ „Komm schon Lia, dann wenigstens als unser zweiter Coach, Elia ist schon unser erster“ „Na gut“, antworte ich und zeichnete wieder auf mein Blatt. „Cool“, antwortete er und sah mich an, auch ich blickte ihn an, einen Augenblick lang sahen wir uns in die Augen. Dann blickten wir beide wieder weg. Mir war noch nie aufgefallen, wie dunkel seine Augen waren.
© Judith Steinbach 2025-02-19