von Thomas Schmitt
Heines Nachtgedanken sind seiner geliebten Mutter im hass- geliebten Deutschland gewidmet. Im Winter 1843 reist er nach Hamburg, um sie zu besuchen.
„Im traurigen Monat November war’s die Tage wurden trüber, der Wind riss von den Bäumen das Laub, da reist‘ ich nach Deutschland hinüber.“
Der Reisende nutzt die Zeit und beschreibt sein Heimatland in all seiner biedermännischen Kleinstaaterei, aus fünfunddreißig deutschen Staaten und vier freien Städten. Am Ende entsteht „Deutschland, ein Wintermährchen“ (damalige Schreibweise). Im Gepäck seines Gedankenguts führt der letzte Vertreter der Romantik als Leichenredner – nicht Totengräber – die aufklärerische Idee von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ mit sich. Ein Heimatvertriebener kehrt heim. Viele Jahre hat der Dichter im Exil in Paris verbracht. In Preußen und im Deutschen Bund wird Heine per Steckbrief gesucht. Zur Ruhe wird er in teutschen Landen nicht mehr kommen; die findet er dreizehn Jahre später, 1856, auf dem Friedhof Montmartre in Paris.
Es war für deutsche Dichterinnen und Dichter zu keiner Zeit leicht, ihr Land zu lieben. Vielleicht ist das auch der völlig falsche Begriff. Denn das dünne Band der Liebe ist meist die deutsche Sprache, die die Dichtenden gleich einer Nabelschnur mit ihrem Vaterland verbindet. In ihrer Muttersprache drücken sie sich aus und geben ihren Gedanken Raum. Völlig „abzunabeln“, hieße, die sprachlichen Wurzeln der Heimaterde zu kappen. Es sind die Exilanten, die aus ihrer geistigen Heimat vertrieben, jenseits deutscher Grenzen ihre persönliche Trauerarbeit leisten. Dafür stehen Namen wie: Ludwig Börne, Karl Marx und Georg Büchner. Die eigentliche Exilliteratur ist der Gegenentwurf jener, die Deutschland zwischen 1933 und 1945 verlassen müssen, da ihre Bücher auf den Scheiterhaufen der SA und nationalsozialistisch gesinnter Studenten brennen. Es ist das „Who’s who“ der deutschen Literatur – Bert Brecht, Bernhard von Brentano, Elias Canetti, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Erich Fried, Oskar Maria Graf, Hans Habe, Sebastian Haffner, Ödön von Horváth, Else Lasker-Schüler, Robert Musil – die Liste findet kein Ende. Für gewöhnlich fallen einem Erika, Heinrich, Klaus und Thomas Mann, Erich Maria Remarque, Joseph Roth, Carl Zuckmayer und Stefan Zweig ein. Letzterer nimmt sich in Südamerika das Leben; nicht wenige flüchten in den Alkohol oder suchen Zuflucht in der Welt der Drogen.
Am Abend des einundzwanzigsten Dezember 1935 stirbt im Sahlgrenschen Krankenhaus im schwedischen Göteborg der vielseitige und unter verschiedenen Pseudonymen schreibende Aphoristiker, Dichter, Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky an einer Überdosis des Schlafmittels Veronal. Man sagt, er sei am Ende der unglücklichen Liebe zwischen drei Frauen, seines in Deutschland verhängten Schreibverbots, sowie zunehmend gesundheitlicher Beschwerden (Magenbeschwerden) und finanzieller Einschränkungen erlegen.
„Er ging leise aus dem Leben fort, wie einer, der eine langweilige Filmvorführung verlässt, vorsichtig, um die anderen nicht zu stören“ (Sudelbuch).
© Thomas Schmitt 2024-01-17