Uni am Morgen danach

Chione

von Chione

Story

Oh Mann, bin ich müde. Ich dachte, ich würde mich noch auf den Unterricht vor mir konzentrieren können, um zumindest so viel aufzuschnappen, dass es die Fahrt zur Uni rechtfertigt und mir für die anstehende Klausur einen Vorteil einräumt. Tatsächlich sitze ich einfach hier und starre und versuche aus Leibeskräften, nicht einzuschlafen. Ich starre weiter, direkt auf die Powerpoint-Präsentation mit den lustigen Grafiken, die der „coole” Dozent auf Meme-Maker erstellt hat.

Die Minions sehen alle so wach aus. Dabei müssen sie denselben langweiligen Inhalt ertragen. Vielleicht ist der Inhalt auch gar nicht so langweilig. Die Minions haben ja aber auch nicht so eine Nacht hinter sich, wie ich. Nein. Die haben in ihren Stockbetten gelegen und ihre acht einhalb Stunden bekommen, um nun munter vor sich hin zu quietschen und Böses zu tun. Oder so.

Es ist ja nicht so, dass ich Feiern gewesen wäre. Wirklich nicht. Obwohl ich am Wochenende gerne mal etwas ausgehe, habe ich schon im ersten Semester gelernt, dass sich das nicht gut mit einer — nicht geschwänzten — 10 Uhr Vorlesung verträgt.

Tatsächlich war gestern Nacht Vollmond. Ich habe also kein Auge zu getan. Nicht wegen des hellen Lichts, obwohl ich zugegebenermaßen einen leichten Schlaf habe. Aber dagegen hilft eine Gardine. Oder so ein schicker Black-Out-Curtain. Es liegt wohl eher an der Werwolf-Sache.

Gleich ist die Vorlesung vorbei. Blöderweise fängt der Tag dann erst an. Ich muss noch arbeiten — viel Abtipperei, die mich sicher auch nicht wach halten wird — und danach treffe ich mich mit meiner Freundin. Das würde ich dann auch nicht missen wollen. Schließlich brauche ich sie, um meine Batterien wieder aufzuladen. Das ist ein Tipp, den ich gerne allen mitgebe: Wenn alles zu anstrengend ist, lasst nicht das weg, was Freude macht, weil ihr denkt, dass ihr es ja nicht müsst. Das klappt nicht.

Ich habe einen Haufen solcher Tipps. Schließlich habe ich auch reichlich Erfahrung. Ich hatte die typische Teenager-Werwolf-Erfahrung. Gebissen werden, seinen Platz im Leben finden, etcetera. Und jetzt fürs Studium in die große Stadt und eigentlich gar nicht mehr dran denken. Ehrlich gesagt ist mir erst wieder aufgefallen, dass meine Erfahrungen nicht alle machen, als ich es meiner Freundin dann gesagt habe. Ich hätte wohl länger warten sollen, aber wir sind schon ein ganz schönes U-Haul-Klischee. Also sagte ich es ihr bei unserem Einmonatigen, als wir uns gegenseitig Bilderalben schenkten, die unsere Zeit zusammen feierten und Raum für Zukunftsträume ließen. Da wurde mir also das erste Mal seit fünf Jahren klar, dass ich nicht ganz normal bin.

Glücklicherweise sind wir zusammen geblieben. Das wäre sonst noch peinlich geworden. Und naja, mittlerweile zuckt auch sie nur noch mit den Schultern, wenn ich mir einen viel zu starken Kaffee bestelle und sie daran erinnere, dass es mal wieder soweit ist.

Sie hat ein Geschenk für mich. Eine Halskette. Mit einem Halbmond dran. Das gibt mir die Energie.

© Chione 2022-08-31

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